Der Menschenwürde-Wahn

Meine Nichtswürdigkeit (links) und der Philosoph Norbert Hoerster (rechts)
Andreas Müller (links) und der Philosoph Norbert Hoerster (rechts)

Ist die Menschenwürde eine Wahnvorstellung? Der Philosoph Norbert Hoerster liefert Argumente (wie auch Edgar Dahl) dafür. Man lese meinen Veranstaltungsbericht und fühle sich danach schlauer als zuvor:

Zum Bericht im Evo Magazin…

9 Kommentare zu „Der Menschenwürde-Wahn

  1. „In der Philosophie gelten… Stringenz und die Qualität der Argumente.“
    Nich nur lt. Hoerster…und in seiner (bzw. der von Dir dargestellten Argumentation) sind einn paar Ungereimtheiten:
    1. Das Gegenbeispiel mit dem Handy: Hat das überhaupt etwas mit der Instrumentalisierung von Personen zu tun? Es geht um einen Anruf für den man einen Gegenstand aus dem Besitz der Person benötigt. Diesen für diesen Zweck notfalls gewaltsam an sich u nehmen (und hinterher wieder zurckzugeben), kann gerechtfertigt sein und würde wohl von niemandem als Angriff auf die Würde der Person angesehen. Aber selbst, wenn (Annahme um des Argumentes willen): Der Selbstzweck der Person nach Kant würde auch gewahrt bleiben, da man ein Zutreffen von § 323c StGB (unterlassene Hilfeleistung) und damit ein sich-strafbarmachen der Person verhindert (was vermutlich in deren Interesse ist).
    2. „Falls ja, wäre denjenigen Recht zu geben, die Abtreibungsärzte töten, da sie in Nothilfe die Ermordung von Embryos verhindern. “
    Das ist ein direkter Widerspruch zum Absatz davor (Verbot der Tötung zur Rettung anderer)
    3. Elementare Interessen und Rechte.
    Okay, Menschenrechte bezoehen sich auf Menschen, und zwar auf Menschen als Personen und nicht als biologische Organismen. Die Zeitpunktswahl der Geburt für den Beginn des Person-Seins pragmatisch mit möglichen Kindstötungen zu begründen, ist ein logischer Zirkel: Aus irgendeinem Grund wird Kindstötung für schlecht gehalten und darum erklären wir Neugeborene zu Personen, auch wenn hermeneutisch sonst noch kein Anhaltspunkt für ihr Person-Sein vorliegt. Sicher, bei entsprechender Pflege und Aufzucht werden sie mal Personen werden, aber das gilt auch für Embryonen und Foeten. Außerdem kommt man damit zu noch ganz anderen Problemen: Was ist mit Früh- und Fehlgeburten?
    Die ganze Sache würde logischer aussehen, wenn man ein ungeborenes als Körperteil (Organ) der Mutter auffaßte (mit dem sie in der Folge verfahren kann, wie es ihr beliebt). Dafür müßte man allerdings ignorieren, daß bereits Ungeborene Verstand haben, sobald die Hirnentwicklung hinreichend fortgeschritten ist (ich lege hier die Verstnad/ Vernunft-Unterscheidung vor und bei Schopenhauer an). Und auch, wenn im Uterus wenig Gelegenheit ist, diese Fähigkeit zu verwenden (und dennoch genug, um sie sichtbar zu machen), so ist diese Fähigeit vorhanden.
    4. Die lieben Tiere… Man kann sich ziemlich leicht aus der Affäre ziehen, indem man einfach auf Personsein und in die Zukunft gerichtete Bedürfnisse rekurriert (das hatten wir schonmal). Dabei außer Acht gelassen wird aber die Leidensfähigkeit. In Bedürfnissen ausgedrückt: Kurz vor der Schlachtung und bei Tierversuchen dürte sich das Interesse des Tieres vor allem darauf beziehen, dem ihm zugefügten Leid zu entkommen. Hier wäre nach schuldhaftem Verhalten seitens derjenigen zu fragen, welche das Tier in diese Lage gebracht haben.
    Ah, und bitte begründen, warum das Personsein schwerer gewichtet wird als die Leidensfähigkeit.
    http://www.youtube.com/v/jvgOCm2w0gw?version=3

    5. Ich plädiere dafür, erstmal allen Lebewesen ein „natürliches“ Recht auf Ausentwicklung und artentsprechendes Verhalten zuzuerkennen. Sodann für „gestaffelte“ Menschenrechte und -PFLICHTEN; einige qua Geburt, andere qua Handlungen, Positionen und „Verdienst“.

  2. Da am Ende des Artikels darauf verwiesen wurde: N. Hoersters „Ethik des Embryonenschutzes“, sowie „Ethik und Interesse“ sind beide auszezeichnete Texte mit klaren Argumenten und sauberen Begründungen (was vielleicht bei der kurzen Darstellung hier untergehen und zu Mißverständnisen führen könnte).
    Seine pro-Lebensschutz Argumente, welche bei Embryos ein individuelles (abgestuftes) Lebensrecht hinfällig werden lassen, sind sehr überzeugend.
    Ein so leise, überlegt und stark argumentierender Autor braucht auch keinen „Menschenwürde-Wahn“ eye-catcher 🙂

    1. Also ich bin ein doofer Polemiker und Hoerster ist superschlau und überzeugend. Sicherlich ist er erfahrener, allerdings geht der Widerspruch zwischen dem Töten aus Nothilfe und der untersagten Tötung, um andere zu retten, auf sein Konto, wurde in der Diskussion angesprochen und auch nicht aufgelöst. Es gab einen weiteren Widerspruch, als Hoerster folgendes Beispiel gab:

      Wenn Hitler mit einem Taxi fährt und der Taxifahrer völlig unschuldig ist und Hitler gar nicht kennt, darf man das Taxi sprengen, wenn es die einzige Möglichkeit ist, Hitler zu töten? Hoerster meinte, das dürfe man nicht (wegen dem Abwägungsverbot). Allerdings sagte er dann, man sollte es tun, wenn es die einzige Möglichkeit ist, einen Nuklearangriff zu verhindern. Das ist ein Widerspruch.

      1. Du bist nicht doof, Du machst als Polemiker einen guten Job. Und ich finde es schön, daß man zugleich hier auch ordentlich Philosophie treiben kann 🙂 .

        @ Kenal, Danke für den Hinweis. Ich hab die Buchabbildung erst für eine simple Illustration gehalten. Jetzt isses auf der Zu-lesen-Liste

      2. „Man darf es nicht, aber soll es tun“ – das ist allerdings ein Widerspruch. Auch auf den zweiten Blick. Weniger gibt es ja Widersprüche bei der Frage nach dem Embryo, hier wird ja recht plausibel argumentiert; sondern bei dieser konstruierten Taxifahrt. Wieso wurde denn nicht genauer nachgefragt, wenn Hoerster schon mal persönlich anwesend war?
        Die Frage wäre gewesem, was es bedeutet zu sagen, man „soll das Taxi sprengen, wenn es die einzige Möglichkeit wäre einen Nuklearangriff zu verhindern“, d. h. wäre es moralisch falsch, wenn man das Taxi nicht sprengen würde? Nun ist es ja zu spät. Wieso man auch immer gleich zu Hitler und Nuklearwaffen greifen muss… geht es nicht eine Nummer kleiner? 🙂

        Überhaupt würde ich nicht behaupten, sein Präferentialismus sei das Maß aller Dinge. Auch nicht, daß Hoerster superschlau wäre. Er argumentiert in den genannten Texten stichhaltig und – sofern ich mich erinnere – ohne offensichtliche widersprüche. Das ist in der Ethik keine Selbstversändlichkeit. Auch die genannten Beispiele aus seinem Vortrag (Peep-Shows, deontologischer Rigorismus etc.) sind dort zu finden. Nicht umsonst hat Peter Singer lange Zeit mit seiner eigenen Position bzgl. des Personenstatus von Geburt an (sprich dem individuellen Lebensrecht) gerungen, als er Hoersters Text las.

      3. Gut und Geboten ist es, das Taxi in die Luft zu jagen, wenn der Taxifahrer damit einverstanden ist.

        Geboten und eine Tragödie ist es auch dann, wenn er es nicht ist, doch dann macht sich derjenige, der die Sprengung durchführt und zu verantworten hat, schuldig. Das ändert nichts daran, dass er der Menschheit einen Dienst erwiesen hat, doch mich zumindest würde das kaum darüber hinwegtrösten können, einem völlig unbeteiligten das Leben genommen zu haben.

        In manchen Situationen muss man vielleicht einfach Schuld auf sich laden.

        Ein gutes eindrückliches Beispiel sind da die Piloten der Enola Gay: Sie wussten, dass der Krieg durch ihre Tat abgewürgt wurde, doch die Schuld wiegt persönlich sehr viel schwerer. Wenn man diese Schuld nicht schwer auf dem eigenen Gewissen lasten fühlt, ist irgendetwas nicht in Ordnung.

  3. Seit ich Indien bin, kommt mir das ganze Geseibere über die Menschenwürde noch bizarrer vor als früher. Gestern habe ich einem 5-jährigen Mädchen 50 Rupees gegeben, das eindeutig von seiner Mutter „instrumentalisiert“ wurde: Sie wurde genötigt, geschickt auf einem Seil zu balancieren, um die Touristen zu unterhalten und den Lebensunterhalt zu verdienen. Ich denke, im Namen aller Christen und Kantianer zu sprechen, wenn ich sage: Eine solch ungeheuerliche Verletzung der Menschenwürde verdient die Höchststrafe! – Human Dignity – Kiss My Ass!

  4. Hoerster ist der Hammer. Dass der Menschenwürdebegriff völlig leer und überstrapaziert ist, ist unter Experten allerdings durchaus anerkannt (wenn es öffentlich auch nicht gerne gesagt wird).

    O-Ton eines der Referenten an einer Medizinrechtslehrertagung zum Thema „Lebensbeginn“ in Zürich im letzten Frühjahr: „Ach, hören wir doch mit der Menschenwürde auf. Wer „Menschenwürde“ oder Kant als erster bringt, hat ja eh gewonnen. Das hat doch keinen Wert.“

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