Ethik ist objektiv – aber kontextabhängig

In Diskussionen über den Objektivismus sind mir häufige Missverständnisse der Philosophie und falsche Annahmen aufgefallen. Auf eine davon möchte ich hier kurz eingehen. Es gibt die Vorstellung, die objektivistische Ethik sei in dem Sinne absolut gültig, wie die Zehn Gebote absolut gültig sein sollen – für alle Menschen zu allen Zeiten in jeder Situation. Das ist so allerdings nicht der Fall.

Die objektivistische Ethik ist eine neo-aristotelische Tugendethik, die von sich behauptet, auf Beobachtungen der objektiven Realität zu beruhen. Insofern hat sie einen kontextabhängigen, aber zugleich „absoluten“ Wahrheitsanspruch. Mit anderen Worten sollen bestimmte Tugenden und Werte in einem bestimmten Kontext etwas sein, was jeder sich in diesem Kontext (z.B. in einer modernen Zivilisation) befindliche Mensch anstreben sollte.

Die objektivistische Epistemologie (Erkenntnistheorie) geht davon aus, dass Konzepte aus Beobachtungen abgeleitet werden und dass alle Behauptungen, die nicht nachweisbar auf Beobachtungen beruhen, willkürlich sind und keiner weiteren Beachtung würdig (darunter der Yeti, Big Foot und Gott – jedenfalls bis zu dem Grad, als dass blind an sie geglaubt wird. Insofern Belege angeboten werden, sieht die Sache anders aus).

Außerdem ist die objektivistische Ethik hierarchisch – manche Werte sind universeller und wichtiger als andere. Das „Endziel“ der Ethik ist es, dem menschlichen Leben zu dienen. Der Objektivismus geht an anderer Stelle von einem Menschenrecht auf Privateigentum aus. Dieses Recht ist allerdings vom Recht auf Leben abgeleitet – steht also in der Hierarchie darunter und ist stärker kontextabhängig.

Warum ist das wichtig? Man stelle sich folgende Situation vor: Ein Schiffbrüchiger möchte sich auf eine Insel retten. Diese Insel ist das Eigentum einer bestimmten Person namens Detlef. Dieser untersagt dem Schiffbrüchigen, die Insel zu betreten. Würde der Schiffbrüchige sich nicht auf die Insel retten, müsste er ertrinken.

Sollte der Schiffbrüchige laut dem Objektivismus also einfach ertrinken? Schließlich ist Eigentum ein Menschenrecht und der Eigentümer darf frei über sein Eigentum verfügen, solange er nicht in die Rechte anderer eingreift und ihnen demnach aktiv schadet. Der Inseleigentümer Detlef würde dem Schiffbrüchigen lediglich keinen Zugang zu seinem Eigentum gewähren, er wäre aber nicht die Ursache vom Tod des Schiffbrüchtigen – das ist der Untergang des Schiffes. Er leistet dem Schiffbrüchigen keine Hilfe, aber er ertränkt ihn nicht aktiv.

Hieran erkennt man, dass es wichtig ist, Werte kontextuell und hierarchisch zu betrachten. Menschenrechte werden staatlich anerkannt und geschützt, damit eine zivilisierte Gesellschaft möglich ist; weil wir diese Rechte zum Leben benötigen. Menschenrechte dienen also dem Leben.

Im Falle der Insel entsteht ein Konflikt zwischen den Rechten einer Person und einer anderen Person. Es gibt in der Realität keine Widersprüche, also stimmt hier etwas nicht: Die Menschenrechte, die vom Leben als Standard abgeleitet werden, sind hier in der Hierachie nach oben verschoben worden. Das Recht auf Eigentum, das dem Leben dienen soll, wird als wichtiger als das Leben selbst eingestuft.

Was also würde der Objektivismus zu einer solchen Situation zu sagen haben? Im Grunde sollte der Inseleigentümer dem Schiffbrüchtigen natürlich den Zugang zu seiner Insel gewähren. Nehmen wir an, dass er dies partout nicht möchte und den Schiffbrüchtigen gewaltsam davon abhält, seine Insel zu betreten. Dann haben wir es mit einem Überlebenskampf Mann gegen Mann zu tun. Entweder der Schiffbrüchige verschafft sich gewaltsam Zugang zur Insel, oder er stirbt. Da sein Leben sein höchster Wert ist, wird er mit allen Mitteln um den Erhalt seines Lebens kämpfen. Und das ist auch legitim.

Es gibt in der Regel keine Konflikte zwischen Menschen, die im rationalen Eigeninteresse handeln. Der Inseleigentümer Detlef handelt nicht im rationalen Eigeninteresse. Der Schiffbrüchige könnte sich sehr dankbar für seine Rettung erweisen, würde Detlef ihn aufnehmen. Es wäre für Detlef auch kein großer Aufwand, den Schiffbrüchigen aufzunehmen. Das tut er trotzdem nicht, also handelt Detlef irrational und es entsteht ein Konflikt.

In dieser Situation helfen die sekundären Menschenrechte nicht mehr weiter. Hier geht es ums nackte Überleben. Wenn der Schiffbrüchige Gewalt anwenden muss, um überleben zu können, so ist das einfach der Fall und soweit unbedingt nötig wird er in die Rechte des Eigentümers eingreifen müssen – was er auch darf.

Dito das Beispiel Klimawandel. Angenommen, es wäre wirklich absolut notwendig, dass wir unser Wirtschaftswachstum begrenzen und somit in die Wirtschaft und somit in Eigentumsrechte eingreifen, um unser bloßes Überleben zu sichern, so wäre das aus Sicht des Objektivismus nach meinem Dafürhalten legitim. Natürlich gehen wir nicht davon aus, dass dergleichen wirklich der Fall ist. Vielmehr denken Objektivisten, dass auch die Umwelt und das Klima bei voller Garantie der Eigentumsrechte am besten geschützt werden können.

Man sieht also: Die objektivistische Ethik ist zwar objektiv begründet und objektiv gültig – aber nur im richtigen Kontext und unter Beachtung der Wertehierarchie.

7 Kommentare zu „Ethik ist objektiv – aber kontextabhängig

  1. Wobei sich die Sache auch schon wieder anders darstellt,sind die Ressourcen auf der Insel so knapp, das auch Detlefs Überleben nur grade so gewährleistet ist.

    1. Stimmt. Für jeden geht das eigene Leben vor und in seltenen Extremsituationen kann es vorkommen, dass zwei Menschen gegeneinander um ihr Überleben kämpfen müssen. Das hat mit Ethik nur noch wenig zu tun, das ist einfach so und keine Ethik der Welt kann es schönreden.

      1. Das könnte man dann wohl als Konflikt zwischen zwei rationalen Menschen ansehen. Hier sieht man, dass selbst dieses Prinzip in seltenen Extremfällen seine Gültigkeit verliert.

        1. Aber soweit ich weiß können zwei rational handelnde diesen Konflikt mittels friedlichen Mitteln lösen, da es nur zwischen zwei irrational handelnden Entitäten zur Gewaltpotential kommt. Sie werden sich irgendwie einigen und auch gegenseitig helfen. Irgendeinen Weg werden sie immer finden, der am Ende zum Vorteil beider gereicht.

  2. „Mit anderen Worten sollen bestimmte Tugenden und Werte in einem bestimmten Kontext etwas sein, was jeder sich in diesem Kontext (z.B. in einer modernen Zivilisation) befindliche Mensch anstreben sollte.“

    Die Menschen streben aber nicht alle das gleiche an, sie sind individuell unterschiedlich! So viel zu den „Beobachtungen der objektiven Realität“, bei denen es sich offenbar um idealistische Annahmen handelt…

    1. Da steht „sollte“. Und jetzt unterlasse die billige Polemik oder ich werde es niemandem zumuten, sich mit deinen spontanen Einwürfen auseinandersetzen zu müssen.

  3. Wie sieht es mit der zeitlichen Begrenzung des Kontext aus? Bezieht man bei der Beurteilung der Situation eine ferne Zukunft mit ein, dazu würde ich alle Zeiträume jenseits von 2 Tagen zählen, werden sicher Aussagen schwierig.
    Wenn der Schiffbrüchige ein Konkurrent ist und eine Verzögerung der Rückkehr des Konkurrenten dem Inseleigentümer Detlef etwas nutzen könnte, würde Detlef doch ihm das betreten der Insel verbieten. Unter der Annahme Detlef wird nicht erkannt. Oder wäre diese Handlung gegen die objektivistische Ethik, weil Detlef niemals sicher vorhersagen kann das die Verzögerung ihm wirklich etwas nützt. Eindeutig ist die Situation wenn Detlef erkannt werden würde, dann würde der Schiffbrüchige mindestens Informationen über Detlefs Verhalten verbreiten, der Schaden wäre für Detlef nicht abzusehen.

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