Die Deutschen: Pragmatisch und ohne Moral

Liberal Cover 4/2013In der aktuellen Printausgabe von „Liberal – Debatten zur Freiheit“ (4/2013) stehen genau drei Sätze von mir auf Seite 7. Es handelt sich um meine Antwort auf die Frage: „Ist Deutschland eine Republik der Verbote?“ Die werde ich hier nicht wiederholen, weil die Leser ja bestimmt das Magazin kaufen möchten (bzw. gibt es auch Bibliotheken für die armen Studenten – doch ernsthaft: das Magazin lohnt sich). Es ist ein kurzer Geradeaus-Kommentar, mit dem ich direkt eine provokative Meinung äußere. Sehr untypisch für mich, ich weiß.

Falls sich jemand für den Kontext interessiert und was genau ich damit gemeint habe, so werde ich das hier näher ausführen.

Ich unterstelle den Deutschen im Kommentar eine pragmatische Haltung, die ich für amoralisch halte. Dass die Deutschen vor allem Pragmatiker sind, ist meine persönliche Einschätzung, resultierend aus Alltagserfahrung und meiner Interpretation von dem Bild der Deutschen, das die Medien vermitteln. Die Bewertung des Pragmatismus entspricht der Sichtweise der objektivistischen Philosophie Ayn Rands. Sie schrieb folgendes über den Pragmatismus:

Pragmatismus: „Philosophie solle den Pragmatikern zufolge rein “praktisch” sein und auf alle absoluten Prinzipien und Maßstäbe verzichten. Eine objektive Realität oder Wahrheit existiere nicht. Das, was funktioniert, sei wahr. Die Realität sei nicht fixiert, sondern flüssig und wandelbar, „indeterminiert“ und es gäbe keinen Unterschied zwischen Bewusstsein und externer Welt, zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten. Nur eine allumfassende, unterschiedslose „Erfahrung“ existiere und was man sich wahr zu sein wünscht, das sei wahr, was immer man zu existieren wünscht, das existiere – solange es „funktioniert“ und man sich dadurch besser fühle. Dieses schamanistische Wunschdenken wurde uns angeboten als praktische Philosophie, um auf dieser Welt ein glückliches Leben führen zu können.“

Das wäre vor allem die metaphysische und epistemologische Erklärung, was der Pragmatismus beinhaltet. Die ethische und politische Implikation des Pragmatismus ist weitgehende Willkür und Prinzipienlosigkeit. Genauer bedeutet Pragmatismus die Reduktion der Moral auf ein einziges, letztlich inhaltloses Prinzip: Was auch immer in einer gegebenen Situation „funktioniert“, sei moralisch.

Für wen „es“ funktionieren soll, bleibt offen. Vielleicht nur für eine Gruppe von Menschen und nicht für andere. Vielleicht nur für einen Menschen. Was „funktionieren“ bedeutet, bleibt auch offen.

„Die beiden zentralen Aussagen der pragmatischen Ethik sind: Eine formelle Ablehnung aller festen Maßstäbe – und eine kritiklose Akzeptanz der herrschenden Maßstäbe.“ (Leonard Peikoff)

Ich unterstelle den Deutschen (natürlich nicht jedem einzelnen!) Pragmatismus, weil sie keine klare moralische Orientierung zu haben scheinen und die Moral letztlich dem demokratischen Konsens unterwerfen. Das ist meine Erfahrung aus unzähligen Diskussionen und Debatten.

Was moralisch ist, ergibt sich demnach als Resultat einer gesellschaftlichen Diskussion darüber, was moralisch ist. Dabei sind alle denkbaren Argumente auf dem Tisch. Irgendwelche Richtlinien und Maßstäbe spielen eine untergeordnete Rolle und werden eher aus historischen Gründen, aus Gründen der Tradition angeführt. Man spricht etwa von unserem „Sozialstaat“, ein undefinierter Begriff, der alles rechtfertigt, oder man wirft mit Zitaten deutscher historischer Geistesgrößen um sich. Man bedient sich bei allen möglichen Ideen aller möglichen Zeitalter, solange sie zufällig zum deutschen Horizont gehören. Und diese Herangehensweise ist absolut typisch für Pragmatiker – für Menschen, die keine Moral haben, diese Eigenschaft als „Unvoreingenommenheit“ und „Ideologiefreiheit“ rühmen und die sich folglich von allem überzeugen lassen, was irgendein sympathisch grinsender Clown im Fernsehen sagt. Auch die Ethik individueller Deutscher scheint oft aus zusammenhanglosen Versatzstücken verschiedener Einflüsse zu bestehen, ohne gedankliche Integration. Das ist durchaus nicht normal für jede Kultur. Im Gegenteil. In der Regel haben Kulturen gemeinsame Bewertungsmaßstäbe. Wir haben ethische Versatzstücke statt Maßstäben.

Wie es anders gehen könnte, erfährt man zum Beispiel im Philosophiebereich und in den Büchern auf der rechten Spalte des Feuerbringer-Magazins.

Im Kommentarbereich kann man mir widersprechen oder eigene Einschätzungen schildern.

5 Kommentare zu „Die Deutschen: Pragmatisch und ohne Moral

  1. Ich unterstelle den Deutschen (natürlich nicht jedem einzelnen!) Pragmatismus, weil sie keine klare moralische Orientierung zu haben scheinen und die Moral letztlich dem demokratischen Konsens unterwerfen.

    Gut erkannt, auch wenn dies nicht schwierig war. – Zudem kann sich der Doitsche aber alternativ auch schwer erregen und ungünstig moralisch theoretisieren und umsetzen.

    Der Schreiber dieser Zeilen kann sich an keinen kriegerischen Konflikt erinnern, in dem Angemessenheit und Ziel ein Thema in der doitschen Öffentlichkeit war.

    MFG
    Dr. W

  2. Das Rand-Zitat packt mir in den Begriff „pragmatisch“ zu viel hinein. Vielleicht ist das aber nur ein Streit um Begriffe.

    Nicht alle „Pragmatiker“ sind automatisch Schamanen, die ihre Wünsche mit der Realität verwechseln. Ist es nicht eher so, dass ein Pragmatiker sich zwar etwas wünscht (nämlich die richtige Lösung eines Problems), aber mangels Erfüllbarkeit dieses Wunsches eine Lösung sucht, die dem Wunsch wenigstens am nächsten kommt – am wenigsten Widersprüche mit der an sich für richtig gehaltenen, aber nicht erreichbaren besten Lösung enthält?

    Wenn ich Lust auf ein hübsches blutiges, auf Lavastein gegrilltes argentinisches Steak habe, mein Geldbeutel es mir aber gerade nicht hergibt, kommt das Jägerschnitzel vom Stübli um die Ecke meinem Wunsch von allen realistischen Alternativen am nächsten. Als Pragmatiker entscheide ich mich dann dafür.

    Die Alternative zum Pragmatiker wäre, über alle verfügbaren Lösungen eines Problems die Nase zu rümpfen, da sie ja alle nicht die wahre Lösung darstellen. Damit hat man sich aus der Entscheidungsfindung herausgezogen und überlässt sie völlig den anderen Lösungs-Anbietern – die eigene Präferenz für eine der Lösungen geht in der Entscheidungsfindung verloren. Es gibt keine Zwischentöne. Das Jägerschnitzel fällt raus, obwohl es wenigstens auch Fleisch ist.

    Ein schönes, aktuelles Beispiel sind Wahlen: Man könnte sich völlig heraushalten, weil z.B. keine Partei in D existiert, die den Objektivismus repräsentiert. Man könnte auch die „Partei der Vernunft“ wählen, die zwar völlig chancenlos ist, aber den eigenen ökonomischen Vorstellungen am nächsten kommt. Oder man könnte sich zwischen den Parteien, die eine Chance haben, für eine entscheiden, die die eigenen Grundsätze am wenigsten krass verrät. Das wäre pragmatisch: Man nutzt seine Einflussmöglichkeit in Richtung auf ein Ziel hin – wenn schon das Ziel nicht direkt durchsetzbar ist.

    Wie wählte z.B. Ayn Rand in USA? Rümpfte sie nur über alle bestehenden politischen Gruppen die Nase? Oder machte sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch?

    Aber wahrscheinlich ist diese Frage wieder – so wie fast alle meine bisherigen Einwände – in nullkommanix objektivistisch ausgeräumt 🙂

    1. Moin!
      Also ich würde sagen, Du hast erstmal Recht: Es ist ein Streit um Begriffe (wie so oft, wenn man mit dem Objektivismus unterwegs ist und feststellt, dass manche Worte nicht mehr das bedeuten, was sie bedeuten sollten).
      Wie Andreas so schön im Philo-Bereich geschrieben hat: Prinzipien sind praktisch.
      Der hier angeprangerte Pragmatismus gehört daher eigentlich in ironische Anführungszeichen, weil es sich dabei nicht um die gute und übenswerte Fähigkeit handelt, auch außerhalb der Regelmäßigkeit, durch Improvisation etc. gute Ergebnisse zu erzielen, sondern um eine philosophische Strömung, die Ende des 19ten Jh.erts ihren Anfang nahm und, wie es für mich aussieht, philologische Methoden zur Erkundung von Wirklichkeit benutzt – „Dem Pragmatismus zufolge sind es die praktischen Konsequenzen und Wirkungen einer lebensweltlichen Handlung, welche bestimmen, was die Bedeutung oder die Wahrheit von Begriffen, Aussagen und Meinungen ausmacht. Die menschliche Praxis wird als ein Fundament auch der theoretischen Philosophie (also insb. der Erkenntnistheorie und Ontologie) verstanden, da vorausgesetzt wird, dass auch das theoretische Wissen dem praktischen Umgang mit den Dingen entspringt und auf diese angewiesen bleibt.“
      ( http://de.wikipedia.org/wiki/Pragmatismus )
      Wenn man da ein bisschen Heidegger und späten Wittgenstein mit heraushört, wird man vermutlich nicht ganz falsch liegen. Vermutlich ebenfalls nicht ganz falsch ist die Beobachtung, dass theoretisches Wissen dem praktischen Umgang entspringt (irgendwie muss man ja mit der Wirklichkeit konfrontiert werden), daraus geworden ist nur eine Systematik, deren Dzenten mir im Hörsaal zu erzählen die Waghalsigkeit hatten, dass z.B. die Begriffe der „abendländischen Philosophie“ mit der objektiven Wirklichkeit nicht allzu viel zu tun haben, weil es sich dabei um Symbolsysteme handele, die so oder anders ausfallen könnten, mehr oder weniger je nach historischem Zufall. Mit anderen Worten: Betrachtung der Welt nicht als Welt, sondern als von verschiedenen Kulturen verschieden formulierter und grammatisierter Text. Als Kulturforschung könnte man das ja machen, daraus Philosophie zu machen führt eher zu beschränkten Ergebnissen.

      Bin ich ins Labern gekommen? – Etwas kürzer gefasst, ist es mit dem Pragmatismus wie mit dem Kompromiss. Es gibt Adiaphora, Nebensachen, die eben, weil sie nebensächlich sind, per Kompromiss oder pragmatisch gelöst werden können, und Sancta, die man lieber nicht antasten sollte – wir verhandeln seit Brandt nicht mit Terroristen und wir sollten auch beim improvisieren bedenken, dass es handlungsleitende Grundlagen gibt, die wir niemals ungestraft preisgeben können (bei Steak vs. Schnitzel etwa, die Notwendigkeit, überhaupt zu essen, die Anständigkeit, sein Essen zu bezahlen (ein philosophischer Pragmatiker könnte z.B. auf die Idee kommen, wenn er sich ein Steak nicht leisten kann, im Steakhaus einfach die Zeche zu prellen) und natürlich die Einordnung des Wunsches nach dem Steak in den Kontext des ganzen eigenen Lebens (in dem sich eine Karriere als Zechpreller eher schlecht macht)).

      Mit den Wahlen wird es komplizierter, weil auch das geringste Übel ein Übel ist. In Krisenzeiten muss man allerdings erstmal seinen Allerwertesten retten (primäres Ziel des Objektivismus: Leben, also auch überleben, und glücklich werden). Wenn alle Mist im Wahlprogramm stehen haben, hatte ich ursprünglich auch vor, einen leeren Zettel abzugeben (nach würfeln in der Wahlkabine), mag es jetzt aber doch nicht so ganz dem Zufall überlassen, welcher Mist über uns hereinbricht und werde das Wahlprogramm mit der geringsten Umsetzungswahrscheinlichkeit in den Bundestag wählen (und in der Kabine trotzdem noch würfeln). Und denke über die Gründung einer Partei nach, die sich die Repräsentation der Ablehnung aller anderen Angebote zum Zweck setzt (das fehlt nämlich in deutschen Wahlrecht – Nichtwähler können die Legislatur nicht behindern).

      PS: Da ich den Streik auf dem Kindle liegen habe, kann ich gerne mal per Wortsuche eine Verwendungsliste zusammenstellen, da könnte klarer werden, was einem unter der Flagge „praktisch“/“pragmatisch“ so alles um die Ohren fliegen kann.

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