„Wir haben Agrarindustrie satt!“ ist das Motto von einem Aktionsbündnis gegen die moderne Landwirtschaft. Die Lobbyisten der Biolandwirtschafts-Industrie (Jahresumsatz: Fast acht Milliarden Euro) sowie ihre ehrenamtlichen Unterstützer protestieren am 16. Januar in Berlin für sich selbst, für staatliche Eingriffe zu ihren Gunsten und gegen die Konkurrenz. Sie haben ein Problem mit der Nicht-Biolandwirtschaft, weil sie selbst Profiteure und Teilhaber an der Biolandwirtschaft oder ideologische Unterstützer von anderen Öko-Organisationen sind (siehe ihr Netzwerk).
Es ist ein bisschen so, als würde Pepsi gegen Cola demonstrieren und dabei Jugendliche dazu bringen, mitzumachen. Aber sieht man genauer hin, ist es eigentlich viel schlimmer. Die jungen linken Ökos in der Unterstützerszene sind sich vielleicht nicht bewusst, welche Geisteshaltung sie da unterstützen.
Kein cooler junger Mensch – siehe dass Werbevideo auf ihrer Startseite – würde sich bei einer Demo anderer Lobbygruppen wie jene der Erdölindustrie oder der Waffenindustrie hinstellen, Parolen schreien und Schilder schleppen, damit diese Industrien mehr Kohle scheffeln können (ok, ich würde es vielleicht machen). Es ist bewundernswert, wie sich Öko-Linke erfolgreich als heldenhafte Gegner eines ausbeuterischen Kapitalismus darstellen können, während sie selbst für bestimmte Industrien wie die Solarzellen-, Biolandwirtschafts- und Windturbinenindustrie die PR-Arbeit machen.
Was die ideologischen Inhalte dieses Aktionsbündnisses angeht, hat Kolja Zydatiss schon alles Wichtige bei Novo darüber geschrieben. Ich ergänze noch, wie faszinierend ich die Gestaltung der Website des Bündnisses finde.
Passend zum aktuellen feministischen Trend ist die Website in Rosa getaucht worden. Landwirtschaft hat eigentlich gar nichts mit Rosa und Feminismus zu tun, jedenfalls nicht mehr als irgendein anderer Wirtschaftsbereich wie Schienenbau oder Dackelenthaarungsdienstleistungsunternehmen. Passend zum Zeitgeist auch der Disclaimer unten auf der Website: „Wir lehnen Extremismus aller Art ab, dazu gehört im Speziellen die Diffamierung von Bäuerinnen und Bauern. Unsere Demo ist kein Platz für Nazis, RassistInnen, Anti-EuropäerInnen und Anti-AmerikanerInnen. Die Stärke unseres Bündnisses ist die Vielfalt, die Internationalität. Uns eint der friedliche Protest gegen die Agrarindustrie!“
Wie Kolja Zydatiss über die Ideologie dahinter schreibt: „Hier der rechtschaffene, heimatverbundene Bauer, der mit bewährten Methoden wie seine Vorväter die deutsche Scholle bewirtschaftet. Dort der raffende, effizienzoptimierende Großkonzern, der multinational – oder noch schlimmer: amerikanisch –, und damit schon per Definition böse ist. Das sind Denkschemata, wie sie schon die Propagandisten des Dritten Reiches pflegten.“ Man protestiert bunt, friedlich und „mit Vielfalt“ für eine erzreaktionäre Position. Aber ohne Nazis und RassistInnen (eventuell mit NazisInnen?).
„Landwirt ist, wer ohne erbliche Verwurzelung (…) sein Land bestellt und in dieser Tätigkeit nur eine rein wirtschaftliche Aufgabe des Geldverdienens erblickt“ (Walther Darré, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft)
Warum spricht dieses Aktionsbündnis eigentlich so beharrlich von „Bauern und Bäuerinnen“ statt von „Landwirten“? Ich bin in der Geschichte unseres schönen Landes auf eine mögliche Erklärung gestoßen: „Bauer ist, wer in erblicher Verwurzelung seines Geschlechtes mit Grund und Boden sein Land bestellt und seine Tätigkeit als eine Aufgabe an seinem Geschlecht und Volk betrachtet. Landwirt ist, wer ohne erbliche Verwurzelung (…) sein Land bestellt und in dieser Tätigkeit nur eine rein wirtschaftliche Aufgabe des Geldverdienens erblickt.“ (Walther Darré, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, 1933-42)
Schätze, die Kritik von Kolja und mir wäre ein Beispiel für die „Diffamierung von Bäuerinnen und Bauern“. Man fragt sich, worin sonst, wenn nicht in der legitimen Kritik, eine solche „Diffamierung“ von Bauern bestehen sollte. Ich habe noch nie in unseren Tagen irgendeine Bauerndiffamierung gehört. Zugegeben tut das Aktionsbündnis nichts, um gegen eventuelle Vorurteile gegen zurückgebliebene Bauern, die mit veralteten Methoden arbeiten wollen, weil sie sich biologisch mit ihrem Land verwachsen fühlen, zu unternehmen. Ich denke aber, dass es jedenfalls ohne dieses Aktionsbündnis gar keine Vorurteile gegen dumme Bauern mehr geben würde.
Spontan assoziiere ich den Begriff „Bauerndiffamierung“ mit den Worten Martin Luthers zum Bauernaufstand aus dem Jahr 1525, „wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern […] man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“ Ja, so klingt Bauerndiffamierung! Und so etwas gibt es zum Glück nicht mehr. Da wir allerdings in einer Opferkultur leben, wo jeder schon gewonnen hat, wenn er sich als Opfer stilisiert, müssen sich auch Ökobauern als Opfer stilisieren. Am Ende sind sie dann, wie so viele zeitgenössische Opfer, höchstens Opfer der Kritik an ihrer eigenen dreisten Frechheit.
Nach der Demo findet, wenig konsequent, keine Kundgebung des Reichsnährstandes statt, sondern ein Popkonzert mit rebellischen jungen Männern, die in der rechten Spalte auf der Website mit Kapuze und so weiter posieren.
„Die Agrarindustrie ist tatsächlich zu großen Teilen dafür verantwortlich, dass heute niemand mehr in Deutschland hungern muss.“
Was ist eigentlich die Alternative zur „Agrarindustrie“, zur kapitalistischen Landwirtschaft? Das Bündnis bietet dazu folgende Ausführungen: „Gesunde und ökologische Lebensmittel sollen für den vorwiegend regionalen Markt von Bäuerinnen und Bauern erzeugt und vom Lebensmittelhandwerk weiterverarbeitet werden – zu fairen Preisen und Marktbedingungen in Europa und weltweit. Wir stehen für Ernährungssouveränität und fordern einen internationalen Handel, der sich an den Bedürfnissen der Menschen und nicht an den Interessen der Konzerne orientiert. Wir wollen ein Landwirtschafts- und Ernährungssystem, das niemanden zur Landflucht zwingt.“
So etwas haben andere schon einmal umgesetzt: „Mit dem Gesetz über den Aufbau des Reichsnährstandes vom 13. September 1933 wurde die Landwirtschaft von der kapitalistischen Produktion in der Industrie abgesondert. Unter dem populären Schlagwort „Selbstverwaltung“ schuf man ein mächtiges Bauernsyndikat, in dem 17 Millionen Mitglieder zwangsweise vereinigt wurden. Der Reichsnährstand legte die Preise fest, regelte den Absatz und plante die landwirtschaftliche Produktion.“
Und nun zum fröhlichen Zitateraten!
„Die Freizügigkeit des Handels mit Grund und Boden ist (…) die Quelle allen sozialen Elends eines Volkes.“
„Agrar- und Ernährungspolitik müssen sich an den Interessen der Menschen, Tiere und Umwelt, nicht der Konzerne orientieren.“
Das erste Zitat stammt vom Nazi-Minister Walther Darré (auf der Demo nicht zugelassen!) und das zweite vom Öko-Aktionsbündnis. Heute gebraucht man eine andere PR-Strategie. Man wendet sich nicht mehr direkt gegen die „Freizügigkeit des Handels“, sondern man spielt die „Interessen der Menschen“ gegen jene der „Konzerne“, der Marktwirtschaft, aus, als gäbe es da einen Interessenskonflikt, als würden Menschen nicht in Konzernen arbeiten und deren Produkte zu günstigeren Preisen kaufen, als sie die Ökobauern verlangen. Die „Agrarindustrie“ ist tatsächlich zu großen Teilen dafür verantwortlich, dass heute niemand mehr in Deutschland hungern muss, weil sie Essen für alle Menschen erschwinglich gemacht hat. Mehr in Koljas Artikel.