Manche Leser haben leider den entscheidenden Fehler in der objektivistischen Metaethik falsch verstanden. Ich hätte „Biologie“ nicht in der Zwischenüberschrift zum Thema in „Ayn Rands Ethik ist falsch“ erwähnen sollen, aber die Erklärung in meinem eigentlichen Text ist korrekt.
Zwar hatte Rand falsche Vorstellungen über Biologie, aber ihr zentraler Fehler liegt nicht bei ihrer Unkenntnis der Evolution, sondern vielmehr bei der Art, wie sie von einem zu begrenzten Sein aufs Sollen geschlossen hat. Ich halte das Ableiten einer Ethik aus den Tatsachen der Realität für grundsätzlich möglich (und geboten und für die einzige Art, eine vernünftige Ethik zu begründen) und nicht zwangsweise für einen Fehlschluss – aber so, wie Rand das gemacht hat, war es leider ein Fehlschluss.
Eine Sache regt mich bei der Diskussion auf. Ich selbst soll einigen Lesern zufolge nicht gewusst haben, dass Lebewesen das Überleben ihrer Gene und nicht ihr eigenes individuelles Überleben anstreben. Habe ich vor zehn Jahren also plötzlich mein gesamtes Wissen über die Evolutionsbiologie vergessen – und das kurz nachdem ich die Website zum Darwin Jahr als Leitender Redakteur betreut und dafür Einführungstexte über die Evolutionsbiologie geschrieben hatte? Hatte ich einen Nervenzusammenbruch und schloss mich kurzerhand dieser Sekte von dieser komischen amerikanischen Frau an?
Natürlich nicht. Mein Gedächtnis ist tatsächlich sehr gut. Ich wusste die ganze Zeit, dass es einen Widerspruch zwischen Rands Ideen über Biologie und der Evolutionsbiologie zu geben schien. Ich dachte jedoch, es gäbe gute Gründe, warum wir als Menschen unser individuelles Überleben als Maßstab der Ethik ansehen sollten. Ich dachte, wir sollten uns frei dazu entscheiden (und das können wir ja auch und ich habe es auch getan), uns auf unser Überleben zu fixieren, während sich andere Lebewesen vielmehr auf das Überleben ihrer Gene fokussieren oder auf was auch immer. Ist doch letztlich egal, was andere Lebewesen tun.
Ich dachte, dass die existenzielle Alternative zwischen Leben und Tod, die Rand betont, einer der guten Gründe dafür wäre, sich am Maßstab des Überlebens zu orientieren. Wir sollten uns für das Leben entscheiden und nicht für den Tod. Das Leben des individuellen Menschen steht im Zentrum der Ethik. Diese Ideen hatten mich als Humanist angesprochen. Allerdings hat sich zunehmend gezeigt, dass das im restriktiven Sinne, wie Rand das meinte, nicht funktioniert.
Rand hatte spezifisch Unrecht mit dem Maßstab des individuellen Überlebens und mit der zentralen Rolle der Alternative zwischen Leben und Tod. Es gibt noch andere Werte im Leben als das Überleben.
Recht hatte sie jedoch hiermit: Wir sollten entsprechend unserer Natur als bestimmtes Lebewesen mit einem konzeptuellen Bewusstsein unter Beachtung unserer jeweiligen Umwelt („kontextuell“) handeln, dann handeln wir der Realität entsprechend und unsere Ethik ist „objektiv“, beruhend auf Tatsachen. Der Teil, der nicht stimmt, ist die Ausrichtung unserer gesamten Ethik am individuellen Überleben. Ich denke noch immer, dass wir unsere eigene Natur und unsere Umwelt korrekt identifizieren und ein „Leben als Mensch“ führen sollten.
Eine objektive Ethik ist eine große Herausforderung
Was jedoch ist der Mensch? Was ist ein menschenwürdiges Leben? Welche Ethik dient unserem Leben als Mensch? Das sind die Fragen, die eine humanistische Ethik beantworten muss. Und es sind Fragen, die schwieriger zu beantworten sind, als Rand glaubte. Die Evolutionsbiologie liefert zweifellos wichtige Informationen über die Natur des Menschen, die bei der Entwicklung einer solchen Ethik beachtet werden müssen.
Aber hier hört es nicht auf, sondern alle Wissenschaften und die Introspektion dienen als Erkenntnisquellen, um eine objektive Ethik zu entwickeln. Der Mensch ist nicht nur eine Lebensform, er ist eine spezifische Lebensform mit einem Geist, mit einer bewussten Wahrnehmung und mit bewusstem Denken. Die Natur- und die Geisteswissenschaften (abzüglich der ideologischen „Studies“-Fächer) liefern alle wichtige Beiträge zur Frage, was der Mensch ist und wie er ein gutes Leben führen kann.
Man sollte nun nicht denselben Fehler begehen wie Rand, nur mit einer anderen Vorstellung über das, was Lebewesen anstreben (Überleben ihrer Gene statt individuelles Überleben). Dieses rein biologische Menschenbild ist zu eindimensional. Wir sollten eine Ethik aus den Tatsachen der Realität ableiten – aus allen Tatsachen der Realität. Und nicht aus einem selektiven Auszug davon.