„Wir sind eines Morgens aufgewacht und die atheistischen Blogger waren alle Social-Justice-Blogger geworden. Ansonsten hatte sich nichts verändert, weil sich ansonsten nichts verändern musste (…) Der sozialistische Flügel der demokratischen Partei scheint sich eines ähnlichen Modells zu bedienen.“
(Scott Alexander: New Atheism. The Godlessness that Failed)
Die religionskritische Bewegung, die meine Jugend prägte, gibt es nicht mehr. An ihre Stelle ist ein ideologischer Mob von autoritären Sozialisten getreten. Doch wie konnte es soweit kommen?
Der Neue Atheismus war für den Großteil seiner Unterstützer schon immer nur ein Vehikel für ihre politisch-utopische Ideologie. Er war lediglich für eine Minderheit eine philosophische Bewegung.
- Von der Religionskritik zur „sozialen Gerechtigkeit“
- „Humanismus“ als Deckname für Sozialismus
- „Weißt Du nicht, was wir hier erreichen wollen?“
- Literatur
Es gibt den Neuen Atheismus, wie ich ihn verstanden hatte (eine der Wikipedia-Definitionen des Begriffs stammt von mir) und es gab den Neuen Atheismus, wie die meisten anderen Aktivisten ihn verstanden hatten. Ich umschrieb die Bewegung damals wie folgt als religionskritische Bewegung mit einer philosophisch-naturwissenschaftlichen Ausrichtung:
„Der Neue Atheismus ist eine Bewegung, die klar und deutlich, manchmal polemisch oder satirisch, ihre Kritik formuliert. Es äußern sich nun explizit Naturwissenschaftler und nicht mehr in erster Linie Philosophen. Auch ‚moderate‘ Religiosität wird abgelehnt, da damit irrationales Denken in der Gesellschaft verbreitet wird. Religion und Wissenschaft sind unvereinbar. Denn die wissenschaftliche Methode des kritischen Überprüfens steht im Widerspruch zum blinden Glauben von Dogmen, wie es Religionen einfordern. Glaube (ohne Belege) verdient keinen Respekt. Die Neuen Atheisten sind naturalistische Humanisten. Sie gehen davon aus, dass eine vernünftigere Gesellschaft ohne den Glauben an Übernatürliches auch eine bessere Gesellschaft ist.“
Damals hatte ich zahlreiche Artikel zum Thema geschrieben und Artikel von Neuen Atheisten wie Richard Dawkins, Christopher Hitchens und Sam Harris ins Deutsche übersetzt (die Links zu den Artikeln funktionieren nicht mehr). Meine Nützlichkeit für „die Sache“ war schließlich abgelaufen. Oder vielleicht war die Nützlichkeit der anderen für meine Sache, die objektive Suche nach der Wahrheit, abgelaufen.
Von der Religionskritik zur „sozialen Gerechtigkeit“
Was ist mit dem Neuen Atheismus passiert? Er ist in die kollektivistische Social-Justice-Bewegung aufgegangen, die Menschen auf ihre Zugehörigkeit zu oberflächlichen Kategorien wie Sexualität, Hautfarbe, Behinderungen, Körperumfang reduziert. Ist also eine intellektuell-akademische Bewegung zu einer Art Twitter-Mob degeneriert? Ja – aus Sicht der wenigen (teils sogar führenden, wie mir selbst) Aktivisten dieser Zeit, die aus einer philosophisch-wissenschaftlichen Position Religionskritik betrieben haben. Und nein: Aus der Sicht von allen anderen.
Für die meisten Unterstützer des Neuen Atheismus war er nur eine Strategie für die Durchsetzung ihrer politisch-gesellschaftlichen Ideen. Ganz direkt gesagt: ihrer sozialistischen Ideen. Er war eine Art Modeerscheinung unter Marxisten und anderen Linksradikalen. Irgendetwas musste es ja geben, was die utopische Welt mit freier Liebe und Gratis-Zeug verhinderte, die sich die Ideologen erträumten. Und damals dachten sie: Na, vielleicht ist es doch die Religion. Die kam damals durch die evangelikalen Unterstützer von George W. Bush und durch die islamistischen Terroranschläge wieder ins Gespräch.
Religion als „Opium des Volkes“, das die Befreiung des Menschen vom Kapitalismus verhindert, ist schon lange ein marxistisches Thema. Irgendwann fokussierten sich die Ideologen dann auf andere Themen, aus dem „Neuen Atheismus“ wurde „Atheism+“, der Feminismus, Anti-Rassismus, LGTBQ und eine Reihe weiterer Schlagworte aus dem neulinken, identitätspolitischen Wortschatz enthielt. Eine politisch-ideologische „Erweiterung“ und schließlich Auslöschung der Bewegung. Nahtlos. Fast ohne Gegenwehr.
„Humanismus“ als Deckname für Sozialismus
Ein Deckname für den Sozialismus mit größerer Beständigkeit ist „Humanismus“. Er hat den „Neuen Atheismus“ überlebt. Theoretisch ist der Humanismus eine auf den Menschen fokussierte Ethik, die ich auch selbst vertrete. Doch ähnlich wie liberale bis konservative Organisationen von Rechtsextremen unterwandert wurden, so wurde der „Humanismus“ als Bewegung von Linksextremisten gekapert. „Wir sind Humanisten“ klingt einfach besser als „Wir sind unverbesserliche Sozialisten, die ihre längst widerlegte Ideologie durchsetzen wollen“.
Ich hatte bereits zur Hochzeit des Neuen Atheismus den starken Eindruck, dass es praktisch allen nicht wirklich um Religionskritik geht, bestimmt nicht um Wissenschaft und Philosophie. Als ich in humanistischen Kreisen einen Reader mit den wichtigsten Texten aus dem Zeitalter der Aufklärung las, löste dies große Verwunderung aus. „Warum liest Du das?“
Warum lese ich das? Warum lese ich als Vertreter einer „Leitkultur Humanismus und Aufklärung“ die wichtigsten Texte der Aufklärung? Weil ich nicht völlig verblödet bin vielleicht. Oder völlig verlogen. Mir war nicht bewusst, dass es tatsächlich fast niemandem um irgendeine „Aufklärung“ ging, sondern um den Sozialismus.
Und es gab diese seltsamen Andeutungen. Als ich mich der Außenpolitik der Neocons anschloss, für die Zerstörung von Diktaturen und die Errichtung freier Demokratien argumentierte (bewaffnet mit Texten von Aufklärern wie Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“) hieß es: „Die sind doch konservativ. Weißt Du nicht, was wir hier erreichen wollen?“ Und wenn es mal eine Kritik an jemandem gab, hörte man Aussagen wie: „Aber sie ist schließlich links.“ Warum sollte es wichtig sein für Aufklärer, dass jemand „links“ ist? Was ist hier überhaupt los?
„Weißt Du nicht, was wir hier erreichen wollen?“
Ich wusste tatsächlich nicht, „was wir hier erreichen wollen“. Jetzt weiß ich es. Es ging darum, die freie, bürgerliche Gesellschaft zu zerstören in der vagen Hoffnung, dass irgendeine tolle Utopie mit freier Liebe und Gratis-Zeug dabei herauskommt. Die Religionskritik der Neuen Atheisten war nur ein Mittel für die linksextremen Ideologen, ein bequemes Vehikel, ein nützlicher Trend zu diesem Zweck. Einem Zweck, so wahnhaft, so losgelöst von der Realität, dass er sich vor der verrücktesten Religion nicht zu verstecken braucht. Ganz im Gegenteil.
Ich werde gelegentlich noch von humanistischen Gruppen zu einem Treffen eingeladen. Aber ich will nicht mehr. Ehrlich gesagt: Ich vertraue euch nicht. Ich glaube euch nicht. Mit der Ausnahme von einigen, die ich persönlich kenne. Meine Erfahrung sagt mir, dass der organisierte „Humanismus“ zum überwältigenden Teil eine Sache von linksextremen Ideologen ist. Und mit denen will ich nichts zu tun haben. Mit Rechtsextremen natürlich auch nicht, aber in deren Kreisen hatte ich mich nie aufgehalten.
Ich interessiere mich für Wissenschaft, Philosophie und Kunst. Ich bin ein Intellektueller. War ich schon immer, werde ich immer sein. Ich interessiere mich nicht für eure ideologischen Wahnvorstellungen, für politisches Lagerdenken und utopische Visionen. Und wenn es sein muss, bleibe ich damit eben alleine.
In meinen dunklen Momente denke ich, dass sie eigentlich bezahlen müssten für ihren Verrat an der Aufklärung. Andere philosophisch motivierte Aktivisten von damals begnügen sich damit, den Glauben an die Menschheit verloren zu haben, wie sie mir schrieben. Aber damit schadet man sich selbst, während sich doch andere eines moralischen Vergehens schuldig machten. Anstelle eines philosophischen Salons, eines Cafés der Aufklärung mit rationalen Argumenten und freien Debatten haben wir einen politischen Kult bekommen. Wir können es nicht vergessen. Es fühlt sich an wie ein Messer im Rücken, weil es eines gewesen ist.
Aber Vergeltung ist so unnötig wie Vergebung. Wer so verlogen ist wie die Verräter der Aufklärung, der hat seine Seele selbst derart beschädigt, dass er ohne fremde Hilfe in der selbstgezimmerten Hölle schmort, in die er gehört.
Literatur
Scott Alexander: New Atheism. The Godlessness That Failed (danke an Lukas Mihr für den Link)