Lest immer auch (populär-)wissenschaftliche Mainstream-Literatur. Schaut euch nie nur YouTube-Videos, Internet-Artikel und weltanschaulich geprägte Bücher an. Das ist eine richtig schlechte Idee, denn im Internet wollen euch viele Leute irreführen oder sie haben sich selbst irregeführt und geben es an andere weiter. (Ja, lest auch wissenschaftliche Literatur und vergleicht es mit dem, was ich sage. Das macht mir keine Sorgen, das würde mich sehr freuen).
Das verdeutlicht aus meiner Sicht aktuell der Fall des einstmals atheistischen Biologen Günter Bechly, der im Darwin-Jahr 2009 die größte Evolutionsausstellung Deutschlands organisierte, Der Fluss des Lebens. Daran erinnere ich mich, weil ich damals die Darwin-Jahr-Website für die Giordano Bruno Stiftung redaktionell betreut hatte. Und jetzt vertritt Bechly Intelligent Design.
Intelligent Design
„Entscheidend war für mich das mathematische Argument“, schreibt er in einem Beitrag auf Jesus.ch. Bechly meint offenbar die üblichen Post-Hoc-Berechnungen von ID-Advokaten, welche die Evolution widerlegen sollen. Sie zeigen angeblich auf, dass die Zeit für die evolutionäre Entstehung der heutigen Lebewesen nicht ausgereicht hätte. Der Mathematiker David H. Bailey schrieb auf Science Meets Religion eine gute Replik darauf. Wie plausibel ist es, dass die gesamte Evolutionsforschung widerlegt werden kann durch irgendwelche probabilistischen Milchmädchenrechnungen? Ich finde, das grenzt an eine Verschwörungstheorie.
Bechly weiter: „Wie kommt unbelebte Masse zum Leben? Auch hier gibt es keine plausible Antwort.“ Das lässt sich unterteilen in zwei Fragen: Die wissenschaftliche: Wie ist das Leben ursprünglich entstanden? Und die philosophische: Wie kann es Leben in einer rein materiellen Welt geben? Wir wissen beides nicht, das ist auch mein Verständnis, aber ich bin zuversichtlich, dass die wissenschaftliche Frage auch wissenschaftlich beantwortet werden wird. Warum sollte eine offene Frage dem Darwinismus widersprechen?
Die philosophische Frage zum Verhältnis von Materie und Bewusstsein ist die große Frage der Bewusstseinsphilosophie. Meine eigene Arbeitshypothese dazu ist der Eigenschaftsdualismus.
Bechly weiter: „Für die Evolutionstheorie müsste man verschiedene Übergänge zwischen den einzelnen Arten und den verschiedenen Gruppen finden. Doch manche Gruppen treten ohne Übergänge auf, andere viel zu abrupt.“
Das ist das klassische „Missing Link“-Argument. Es ist vollends zu erwarten, dass wir noch nicht die Fossilien sämtlicher „Übergangsformen“ gefunden haben, da einfach nicht so viele Fossilien erhalten sind und nicht so viele ausgegraben wurden. Das wurde schon tausend Mal widerlegt, man sollte diese Argumente eigentlich kennen
Quantenidealistisches Christentum
Bechly: „Gleichzeitig interessierte mich, wie glaubhaft die Evangelien, die Auferstehung von Jesus und andere Theorien des christlichen Glaubens sind.“
Dann müsste er zur Erkenntnis gelangen, dass die Wundergeschichten in der Bibel nicht glaubhaft sind. Ebenso, dass Jesus ein jüdischer apokalyptischer Wanderprediger war, den einige wenige seiner Zeitgenossen für den jüdischen Messias hielten, und der später zum Sohn Gottes umdeklariert wurde.
„Als ich in Elternzeit ging, verschwand mein Name von der Webseite des Museums und von sämtlichen Forschungsprojekten, an denen ich teilgenommen hatte. Ich galt nun als rufschädigend für das Haus und schliesslich wurde mir nahegelegt zu gehen.“
Ich finde es immer besser, mit den Leuten zu diskutieren. Man könnte leicht aufzeigen als Naturkundemuseum, dass nichts an ID dran ist. Vielleicht wurde das auch getan und Bechly erwähnt es nur nicht.
Auf seiner Website erwähnt Bechly Michael Jones, den Macher des YouTube-Kanals Inspiring Philosophy. Bechly ist offenbar ein Anhänger des „Quantenidealismus“, den Jones vertritt. Michael Shermer von der Skeptic Society lobte Jones dafür, dass er in der Regel wissenschaftlich fundiert argumentiert. Ich hatte selbst in einem der letzten Beiträge ein Video von Inspiring Philosophy eingebettet. Obwohl Jones in manchen Bereichen sauber argumentiert und viele Belege nennt – er ist zum Beispiel ein vehementer Gegner des Kreationismus und erkennt die Evolution an – muss man bedenken, dass er letztlich das klassische Christentum verteidigt. Wie auch William Lane Craig, der in manchen Bereichen gute philosophische Argumente nennt, aber letztlich im Dienst einer dogmatischen Weltanschauung steht und etwa auch die historische Existenz von Adam und Eva verteidigt.
Den Quantenidealismus erklärt Jones in seiner „The Quantum God“-Playlist. Es handelt sich um einen quantenphysisch begründeten christlich-trinitarischen schwachen Panentheismus. Ja, das Ding heißt so. Im Grunde sagt er, dass das Universum ein emergentes Phänomen von Gottes Geist sei. Gott habe das Universum durch seine Gedanken erschaffen und halte es am Laufen. Ich teile weder die involvierte Interpretation der Quantenmechanik noch das Gottesbild, noch den Emergentismus. Methodisch finde ich den Quantenidealismus viel zu spekulativ. Man sollte auch in der Metaphysik so viel Spekulation vermeiden wie möglich.
Wo das gesagt ist, halte ich es für unproblematisch für einen Wissenschaftler, dieses metaphysische Weltbild zu vertreten. Problematisch ist für einen Evolutionsbiologen vielmehr Intelligent Design. Und das ist etwas, das Michael Jones keineswegs vertritt (er vertritt die theistische Evolution).
Ansonsten schreibt Bechly, er sei ein techno-utopistischer Transhumanist und libertärer Minarchist. Er erklärt eine Reihe unorthodoxer politischer Positionen, die er teilt. Er kritisiert radikale Umweltschützer, Klimaleugner und Impfgegner. Und die Neuen Atheisten, die philosophisch ignorant seien (gut, das waren wir, manche sind es noch).
Den Bezug zum wissenschaftlichen Mainstream erhalten
In der Gesamtheit ergibt sich ein für einen Deutschen höchst unorthodoxes Weltbild, das dem der christlichen libertären Rechten in den USA ähnelt. Man kann so etwas vertreten, aber man sollte wissen, wie es sich in Relation zum typischen Denken in Deutschland und zum wissenschaftlichen Mainstream in Evolutionbiologie und Ökonomie verhält. Offensichtlich wird man damit anecken und Irritationen auslösen.
Es ist aber jedem seine Meinung unbenommen und der einzig zweifelhafte Aspekt für einen Biologen ist Intelligent Design und der offen deklarierte „Anti-Darwinismus“. Klar wird es einem Naturkundemuseum nicht gefallen, wenn ein Mitarbeiter die moderne Evolutionsbiologie ablehnt. Das ist ja unter anderem das, was das Museum vermitteln möchte.
An all dem erkennt man gut, dass man zwar viel durch Online-Recherche lernen und spannende YouTube-Channels entdecken kann, aber man benötigt stets die Verankerung in der Mainstream-Forschung (und -Philosophie) und sollte den Kontakt dazu nicht verlieren. Auch sollte man eine ungesunde Anti-Haltung zur Gesellschaft, in der man lebt, vermeiden.
Ja, ja. Ich weiß, wer das wieder zitieren und mich damit veralbern wird.