Gestern wurde ich daran erinnert, warum ich einst so antireligiös unterwegs war. Und es in einer Hinsicht noch bin. Ein Christ schrieb auf Twitter, er habe kein Problem mit dem Verspeisen von Tieren, weil in der Bibel nichts dagegen steht. Er hat seinen Tweet gelöscht, also Schwamm drüber. Wir müssen nicht thematisieren, wer das war. Aber das war richtig doof.
Ich habe kein grundsätzliches Problem mit dem Verspeisen von Tieren in allen erdenklichen Szenarien. Wer ansonsten verhungern würde, darf und sollte Tiere essen. Aber ob wir es hier im reichen Westen tun sollten, das ist durchaus ein Gegenstand ernsthafter ethischer Erwägungen. Ich dachte auch früher als Pro-Fleisch-Philosoph nicht, dass dies eine offensichtliche Position wäre, sondern eine, die eine sorgfältige Begründung erfordert. Meine war am Ende nicht gut genug, also bin ich Vegetarier geworden.
Ich erinnere mich an einen Vortrag von Colin Goldner von der Giordano Bruno Stiftung an einer Hochschule, wo ich als Kritiker in einer Videoschalte als Chatpartner zugeschaltet war. Er meinte, dass Fleisch essen christlich-dogmatisch mit der Bibel begründet wird und es keinen rationalen Grund gegen Tierrechte gebe (oder so ähnlich, ich will ihm nichts in den Mund legen). Das hatte mich sehr aufgeregt, weil ich ja schon einige rationale Gründe gegen Tierrechte hatte und ich deutete an, warum Menschen nach meinem Dafürhalten Rechte haben und Tiere nicht. Das denke ich übrigens noch immer, nur dass wir außerdem in der Regel keine Tiere essen sollten. Zwar nicht aus Tierrechtsgründen, aber aus Tierschutzgründen. Den Tieren ist der Unterschied wurscht.
Die Bibel irrt sich
Und jetzt kommt jemand an und begründet das Verspeisen von Tieren tatsächlich auf diese Art. Die Bibel sagt es. Das einzige Gegenargument wäre, dass die Bibel dies nicht wirklich sagt.
Ich schrieb diese Antwort:
Ich halte es für offensichtlich moralisch falsch, bewusst empfindenden Lebewesen Leid zuzufügen, ohne dass es für Gesundheit oder Leben des Menschen notwendig wäre.
Andreas Müller
Wie früher auch vertrete ich weiterhin einen ethischen Objektivismus, Realismus und Universalismus. Ebenso vertrete ich einen erkenntnistheoretischen Fundamentalismus (hat nichts mit religiösem Fundamentalismus zu tun) und einen revisionistischen Intuitionismus (hat nichts mit historischem Revisionismus zu tun), den Michael Humer in diesem Paper (Link repariert) näher begründet.
Und als fundamentalistischer Revisionist glaube ich … Gott, wer denkt sich solche Fachbegriffe aus?
Kurz gesagt finde ich es ethisch falsch, sinnlos Tiere zu quälen. Und ihr wahrscheinlich auch. Weil es uns intuitiv falsch erscheint, sobald wir „sinnlos Tiere quälen“ verstanden haben, ohne dass wir groß darüber nachdenken müssten. Im Detail ist es wahnsinnig schwierig, verschiedene Intuitionen unterschiedlicher Kraft abzuwägen und abstrakte Regeln daraus abzuleiten, Philosophie eben. Aber im Kern ist es einfach mies von uns, Tiere zu quälen.
Wenn ein heiliges Buch einer so einfachen Intuition widerspricht, dann irrt sich das heilige Buch. Normalerweise wird es nicht so explizit gesagt, aber eigentlich gibt es keine weitere Begründung. Wenn dein Buch sagt, dass man bewusst empfindende Lebewesen quälen soll, ohne dass es für die Erringung höher gewichteter Werte (wie menschliches Leben und menschliche Gesundheit) unerlässlich ist, dann irrt sich dein Buch.
Nun gibt es in der Bibel keine moderne Massentierhaltung und insofern kann man durchaus bezweifeln, ob die Bibel sagt, dass Tiere essen, egal wie sie gehalten wurden, in Ordnung ist, oder ob Tiere essen nur in Ordnung ist, wenn die Tiere vorher gut gehalten wurden. Das ist aber nur für Bibel-Gläubige überhaupt relevant und ich halte nichts vom Glauben an heilige Bücher. Ich glaube, dass wir auf eine andere Art an echte Erkenntnisse gelangen.
Aber du redest doch auch von Gott!
Aber Andreas, höre ich euch sagen. Du kommst doch neuerdings auch mit Gott an. Dann ist es doch nur ein kurzer Schritt zu heiligen Büchern.
Nein, natürlich nicht. Spezifisch die Aufklärungsphilosophen haben über eine ähnliche Art von Gott nachgedacht wie ich gerade. Sie gingen sogar einen Schritt weiter, waren häufig Deisten und glaubten an einen Schöpfergott, der nicht in die Welt eingreift, also keine Wunder wirkt, Propheten ernennt oder Söhne zeugt. Voltaire, Rousseau, Thomas Paine und Thomas Jefferson sind bekannte Beispiele.
Ich erwäge die Argumente für einen Schöpfergott, der auch als „Gott der Philosophen“ bekannt ist, eben weil er rein philosophisch, durch rationale Argumente, fundiert ist, und ohne jeglichen religiösen oder sonstwie beliebigen Glauben auskommt. Ich lehne Dogmatismus ab und darunter eben auch einen Dogmatismus, der Gott ausschließt.
Natürlich kann man als Philosoph nicht einfach auf ein Buch zeigen und sagen: „Ich habe Recht, weil das Buch dasselbe sagt wie ich.“ Es kommt auf die Kraft der Argumente an, darunter auf die Kraft der Argumente für den Intuitionismus.
Übrigens hat mich die Aussage eines Veganers genauso aufgeregt: „Die Würde des Tieres ist unantastbar“. Welche Würde des Tieres, was ist das denn nun? Meinst du auch die Würde von Malariafliegen (die wir nach meinem Dafürhalten gerne ausrotten können, wie ich in dieser Podcastfolge erkläre), meinst Du die Würde von Bakterien? Na, hauptsache, es klingt gut!
Alle Seiten sollten mehr denken und weniger glauben. Und mich weniger nerven.