Ist Tiere quälen intuitiv richtig?

Manche Tiere zu streicheln und andere zu essen sei keineswegs paradox. Ebenso behandeln wir verschiedene Menschen auf unterschiedliche Art. Manche sind unsere Handelspartner, andere Ehepartner, wieder andere unsere Widersacher. Fast alle Menschen in der gesamten Geschichte fanden es intuitiv richtig, manche Tiere zu streicheln, von anderen Tieren ihren Pflug ziehen zu lassen und wieder andere zu essen. Wie könne ich behaupten, es sei unintuitiv, Tiere zu essen?

Das meinte ein Diskussionspartner zu mir und ebenso argumentiert auch Klaus Alfs in seinem Buch „Kritik der vegetarischen Ethik“. „Wenn man sein eigenes Knuddeltier ungern töten lässt, hat man sich noch lange nicht auf ein universales Tötungsverbot für ‚ähnliche Tiere‘ verpflichtet.“ (S. 48). Nun, ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass es zwangsweise falsch ist, bestimmte Tiere zu essen – sofern sie ein gutes Leben hatten und human getötet wurden, was aber nur in sehr wenigen Fällen zutrifft. Ich habe versucht, meine Tierethik mit diesem Prinzip auf den Punkt zu bringen: „Wir sollten bewusst empfindenden Lebewesen nicht absichtlich Leid zufügen, sofern das nicht für höhere Werte wie Gesundheit und Leben des Menschen notwendig ist.“

Leid ist schlecht

Das Prinzip umfasst die Möglichkeit, dass es noch andere höhere Werte gibt, für die das Zufügen von Leid akzeptabel ist. Hier könnte man sich etwa den Artenschutz vorstellen oder das Verhindern der Ausbreitung eines Krankheitserregers unter Tieren. Tatsächlich hätte ich mir erhofft, dass irgendwer diesen Teil des Prinzips kritisieren und eine klare Festlegung erfragen würde, was denn „höhere Werte“ darstellen. So genau weiß ich das selbst nicht, das Prinzip ist ein Work in Progress. Das wäre eine legitime Kritik gewesen. Aber nein, stattdessen reden die Leute irgendeinen Unsinn.

Ich weise darauf hin, dass das Prinzip für Menschen (bewusst empfindende Lebewesen) auch zutrifft: Unter bestimmten Umständen können wir anderen Menschen Leid zufügen, wenn höhere Werte wie unsere Gesundheit und unser Leben es erfordern, etwa in Fällen wie Notwehr, Notstand und Krieg. Und wir können ihre Rechte einschränken und ihnen damit Leid zufügen, wenn es darum geht, die Ausbreitung einer Pandemie zu verhindern, was nun auch die letzten Jahre so gehandhabt wurde. Und ginge es um den Artenschutz, gäbe es nur noch zwei fortpflanzungsfähige Menschen auf dem Planeten, sollte man dann Abtreibung verbieten, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern?

Obwohl ich selbst nicht die Weisheit mit Löffeln gegessen habe, versuche ich auf den Einwand zu antworten, Tiere essen sei intuitiv richtig. Ja, andere Menschen spielen in unserem Leben verschiedene Rollen, von Ehefrau bis Bundespräsident. Aber wir sollten keine anderen Menschen quälen, versklaven, sie mit Medikamenten vollpumpen, sie so züchten, dass sie besonders stark oder besonders fett werden und wir sollten keine anderen Menschen für ihr Fleisch ermorden. Es ist nicht für Gesundheit und Leben des Menschen nötig, andere Menschen zu töten, um sie zu essen. Es könnte dafür nötig sein, einige Tiere wie Fische zu töten und sie zu essen. Aber es ist nicht nötig, die Tiere zu quälen, bevor wir sie essen.

Wir können nett zu Tieren sein

Und das ist die Krux an der Sache. Nun mag es wohl so sein, dass die meisten Menschen historisch kein Problem damit hatten, mit ihren Hunden zu spielen und ihre Schweine zu töten. Aber Menschen haben kaum je in einer Überflussgesellschaft gelebt wie wir heute. Wir können es uns heute erlauben, Tiere gut zu halten und zumindest die meisten von ihnen nicht für ihr Fleisch zu töten. Wenn wir das existenziell mussten, dann war es auch richtig, was mein Prinzip genau so besagt.

Warum wir aber heute in unserer Situation Tiere qualvoll züchten, qualvoll halten und qualvoll töten, obwohl wir das nicht müssen und zumindest die meisten nicht einmal zur Ernährung bräuchten, das erfordert eine Begründung. Und ich glaube nicht, dass sich das intuitiv begründen lässt. Ich glaube auch nicht, dass es Menschen intuitiv richtig erscheint. Das habe ich jedenfalls noch nie gehört. Ich höre meistens die Antwort, dass man nicht daran denken möchte, wie die Tiere leiden, die man isst. Man blendet die gängigen Zustände in der Massentierhaltung aus.

Vermutlich liegt hier die Annahme zu Grunde, dass man die Tiere eben essen müsste und dass sie dafür leiden müssten. Aber das müssen wir ja nicht. Ich habe einfach damit aufgehört. Ich esse nur noch Fisch aus humaner Tierhaltung (nachhaltige Aquakultur) und trinke Milch von Kühen aus humaner Tierhaltung (auch wenn die Kühe selbst dort etwas darunter leiden, dass sie eine Hochleistungsrasse sind).

Ich halte die Idee, dass es eine objektive Intuition gäbe, wonach Tiere aus niederen Beweggründen wie den bloßen Fleischgenuss zu quälen in Ordnung sei, für falsch. Man muss sich genau ansehen, was die Intuitionen sind. Ist es intuitiv zu glauben, dass Tiere für uns unterschiedliche Rollen spielen können, wie Schoßhund, Spürhund, Blindenhund? Das mag so sein. Ist es intuitiv, dass wir Tiere töten und essen dürfen, wenn es für unsere Gesundheit und unser Leben erforderlich ist? Ich denke schon. Ist es intuitiv, dass wir Tiere aus niederen Beweggründen quälen dürfen? Das denke ich nicht.