Ist meine Tierethik widerlegt?

Es gibt nun eine Replik auf meine Tierethik von Rationality Rules alias dem Philosophie-YouTuber Stephen Woodford. Ich erkläre unten, warum sie mich nicht überzeugt.

Manche Ideen liegen offenbar in der Luft. Woodford dürfte meinen Blog nicht kennen, geht aber auf exakt dieselben Gedanken ein. Im Kern geht es um die ethische Aussage „Wir sollten bewusst empfindenden Lebewesen nicht unnötig Leid zufügen.“ Meine Einschränkung war: „… sofern es nicht für unser Leben und unsere Gesundheit notwendig ist.“

Irrelevant & Willkür?

Woodford ist der Auffassung, dass die Aussage tatsächlich intuitiv richtig ist. Das würde aus Sicht des Intuitionismus, den er nicht teilt, schon genügen. Er argumentiert jedoch mit dem ethischen Naturalismus: Vielmehr hätten wir den evolutionär eingeprägten Trieb, dass wir unseren genetisch Verwandten kein unnötiges Leid zufügen sollten. Wir haben keine genetisch eingepflanzte Idee, wonach wir auf Tiere oder sonstwen Rücksicht nehmen müssten.

Da der ethische Naturalismus dem Sein-Sollen-Fehlschluss unterliegt, ist die Sache damit schon erledigt.

Außerdem sei die Einschränkung beziehungsweise die Erläuterung, was mit „notwendig“ gemeint ist, willkürlich. Warum sollten wir Tieren Leid zufügen dürfen, wenn es für unser Leben und unsere Gesundheit nötig ist?

Das sehe ich nicht als überzeugenden Einwand an aus Sicht des Intuitionismus. Denn dass wir unser Leben und unsere Gesundheit nicht für Tiere opfern müssen, dürfte intuitiv sein.

Einwand: Dann können wir auch Sklaven halten

Früher sahen die Menschen kein Problem damit, anderen Stämmen und Sklaven unnötig Leid zuzufügen. Ob die bewusst empfinden, war ihnen egal. Unsere Solidarität haben wir mit der Zeit auf immer mehr andere Menschen übertragen, vielleicht gilt sie irgendwann allem Leben (eine Idee von Albert Schweitzer).

Laut Woodford werden immer mehr Menschen Veganer, bis es zur Normalität wird. Und zwar, weil wir kollektiv unsere Solidarität, unsere altruistische Sphäre, auf Tiere ausweiten, obwohl das nicht als individuelle Ethik in uns eingebaut sei. Er scheint das rein deskriptiv zu meinen. Das passiert einfach so. Egal, was wir tun sollen.

Der ethische Naturalismus hat eine ganze Reihe an Problemen. Eines: Woodfords Darstellung impliziert, dass es ethisch richtig war, Sklaven zu halten, als unsere altruistische Sphäre noch klein war. Sie wird eben einfach größer, und dann wird es ethisch richtig, auch Tieren Leid zu ersparen. Weil’s halt so ist.

Relevantere Kritik: Die Aussage sei nicht intuitiv

Woodfords Kritik ist also für mich nicht relevant, beziehungsweise halte ich sie für falsch, wie auch den ethischen Naturalismus überhaupt. Ich habe aber auch eine relevante Kritik für mich von einem Leser vernommen: Dass wir bewusst empfindenden Lebewesen kein unnötiges Leid zufügen sollen, sei keineswegs eine Intuition. Intuitiv richtig sei es nur, unseren genetisch Verwandten kein Leid zuzufügen. Schließlich gab es historisch Sklaverei, Krieg und Raubzüge.

Dann wären Sklaverei, Krieg und Raubzüge gegen Nicht-Verwandte gerechtfertigt.

Aber sagen wir mal, es sei nur intuitiv, anderen Menschen kein Leid zuzufügen, sowie Haustieren, doch mit Nutztieren könnten wir es machen. In diesem Fall würde ich prüfen, inwiefern hier eine Intuition revidiert werden muss. Und zwar aus dem Grund, dass die qualitative Unterscheidung zwischen bewusst empfindenen Lebewesen willkürlich erscheint. Es sieht so aus, als würde man hier eine Ausnahme für Nutztiere machen, weil es uns egoistisch in den Kram passt und nicht darum, weil es ethisch richtig ist. So wie man eine Ausnahme für Sklaven gemacht hat.

Aber ich denke, das ist unnötig. Ich halte es für intuitiv richtig, dass wir Tieren kein unnötiges Leid zufügen sollten. Also mindestens, dass wir sie gut halten sollten und human schlachten. Man erkennt es daran, dass die Massentierhaltung für die Konsumenten unsichtbar stattfindet. Wie einst im römischen Reich die Kreuzigung von Menschen. Die meisten Leute, die sich das ansehen, würden es für falsch halten.

Am Rande: Die Heuchelei von Sam Harris

Woodford erwähnt den Fall von Sam Harris — ein Intellektueller, dessen Denken mich beeinflusst und dessen Podcast ich immer höre. Harris war früher Vegetarier, sogar sechs Jahre lang. Aber er bekam, wie ich, den Eindruck, dass ihm wichtige Nährstoffe fehlten. Nun isst er wieder Fleisch — und das ohne Rücksichtnahme auf das Tierwohl.

Doch wer von der Bedeutung des Tierwohls überzeugt ist, sollte nicht einfach Fleisch aus der konventionellen Massentierhaltung essen. Ich mache das auch nicht, sondern nur Biofleisch. Außer vielleicht in Ausnahmefällen, wenn ich auswärts esse und es schwer überprüfbar ist. Und da Biofleisch von Naturland & Co sehr teuer ist, esse ich insgesamt wenig Fleisch und Fisch. Da mir ganz ohne Fleisch wichtige Nährstoffe fehlen, halte ich das für einen möglichen Kompromiss.