Die Bildzeitung erzeugt einen künstlichen Skandal über das woke Canceln von Winnetou. Eigentlich wurde nur ein Buch nicht veröffentlicht, das sowieso nur dem Namen nach was mit dem Indianerhäuptling zu tun hat. Soweit die Geschichte aus Sicht von Leuten, die Winnetou, wie sie an mehreren Stellen schreiben, tatsächlich gerne canceln würden.
Und das ist der absonderlichste Aspekt an dieser aufgeregten Auseinandersetzung. Es stimmt, dass der Ravensburger Verlag ein Begleitbuch zu einem Kinderfilm nicht veröffentlicht hat, weil es Klischees über Indianer wiedergeben soll, während niemand die Filme und die Karl-May-Bücher verboten hat. Und ein weiteres Buch bringt Ravensburger auch nicht auf dem Markt zum neuen an Winnetou angelehnten Kinderfilm „Der junge Häuptling Winnetou“. Und der Verlag hat ein Puzzle aus dem Verkauf genommen. Und ein Stickeralbum. Und der MDR will in Zukunft Warnhinweise vor den Winnetou-Filmen und anderen Klassikern einblenden.
Holocaustvergleich dürfen nur die anderen nicht
Also so ein bisschen Canceln gibt’s dann ja doch mit Bezug auf Winnetou. Der einflussreichste Artikel zum Thema aus Sicht der „Wir canceln doch gar nichts“-Fraktion stammt von Scompler und steht recht weit oben bei Google. Hier deren nuanciertes Geschichtsbild:
Nicht im Großen, weil die amerikanischen Ureinwohner nicht zuvorderst ein „edles Volk“ sind, sondern ein Volk, die Opfer eines Angriffskrieges waren, und an denen ein Genozid verübt wurde, der in der Auswirkung mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus vergleichbar ist: mit jeweils sechs Millionen toten Juden und sechs Millionen toten Indigenen.
Scompler
Dieser falsche und widerwärtige Vergleich mit dem Holocaust scheint niemanden sonderlich zu stören unter der gar nicht woken, politisch braven Nicht-Cancel-Fraktion. Nach meinem Dafürhalten ist dieses Geschichtsbild das viel zu verallgemeinernde und letztlich einfach falsche „linke“ Gegenstück zu Karl Mays nett gemeinter Kitschwelt über Cowboy und Indianer. Es gab nicht den einen großen „Genozid“ an „den amerikanischen Ureinwohnern“, die außerdem nicht „ein Volk“ waren und sind, sondern sehr unterschiedliche Stämme, Kulturen bis hin zu Zivilisationen auf verschiedenen Kontinenten, nämlich Nord-, Süd-, und Mittelamerika.
Der Begriff „Genozid“ ergibt am ehesten Sinn für die Eroberung der Inkas und Azteken durch die spanischen Konquistatoren zwischen 1500 und 1600. Der stark überwiegende Teil der Todesopfer unter den Einheimischen ging selbst bei diesem brutalen Eroberungskrieg auf eingeschleppte Krankheiten zurück und nicht auf militärische Gewalt. Unschuldige Lämmer waren Inkas und Azteken mit Sicherheit nicht, sondern sie waren selbst kolonialistische Großmächte mit tyrannischen Beamtenstaaten, die örtliche Stämme mit Gewalt in ihre Reiche eingliederten und Menschenopfer darbrachten. Trotzdem war der Eroberungskrieg durch die Spanier ein grausames Verbrechen und kein Befreiungskrieg für unterdrückte Ureinwohner.
Auch danach wurden große Verbrechen gegenüber den amerikanischen Ureinwohnern begangen wie die Landnahme durch europäische Siedler, Zwangskonvertierung und Versklavung (viele Stämme der Ureinwohner hielten übrigens selbst Sklaven von anderen Stämmen, auch wenn es die Sache nicht besser macht, wenn der vermeintlich zivilisierte weiße Mann das tut). Allerdings wurde das Verhältnis zu den verschiedenen Ureinwohnern Amerikas im Verlaufe der Zeit immer komplexer, es gab auch Handelsbeziehungen, freundschaftliche Beziehungen und man kämpfte in Kriegen zusammen. Da viele Stämme miteinander befeindet waren, konnten die europäisch stämmigen Amerikaner diese Konflikte für ihre Zwecke nutzen.
Friedliche Eroberungskriege?
So ganz happy sind die unwoken Noncanceller von Scompler auch mit dem Karl-May-Original nicht.
Es geht bei Winnetou um Freundschaft, um Überwindung von Grenzen, um Völkerverständigung und um Frieden. Nur ist das auch eingebunden in kitschige, romantische Folklore, die Heroisierung des Kolonialismus, die Stereotypisierungen von „Indianern“ und vielem mehr.
Scompler
Ach, ihr meint, wie ihr „die Indianer“ in eurem Artikel sterotypisiert zu einer uniformen Opfermasse, die der böse weiße Siedler meuchelte? Es will mir zudem nicht recht in den Kopf, wie ein Werk zugleich für „Völkerverständigung“ und „Frieden“ eintreten und den auf gewalttätige Konflikte ausgelegten Kolonialismus heroisieren soll. Irgendetwas geht hier nicht auf. Entweder Frieden und Völkerverständigung oder „Indianer töten und ihr Land rauben ist geil“.
Denn was hier stattgefunden hat, ist ein sehr lauter, sehr gewalttätiger und ein sehr bedenklicher Aufschrei einer radikalen Mehrheit.
Scompler
Die Bildzeitung hat tatsächlich mal wieder ein Thema skandalisiert, das viel harmloser war als der Eindruck, den man gewinnen musste. Aber dass der anti-woke Shitstorm „sehr gewalttätig“ gewesen sein soll, ist eine bezeichnende Beschreibung. Denn es hat eben keine physische Gewalt gegen irgendwen gegeben, sondern Leute haben ihre (überwiegend blöde) Meinung geäußert. Wer Meinungsäußerungen, die ihm nicht passen, als „Gewalt“ einordnet, muss sich tatsächlich fragen lassen, wie er zur Demokratie steht. Obendrein noch, wenn hier eine Meinungsäußerung der „Mehrheit“ als „bedenklich“ bezeichnet wird. Entscheidet nicht die Mehrheit in einer Demokratie oder ist sie jetzt „bedenklich“?
Da wird beleidigt, gehetzt, diffamiert und verunglimpft. Und dabei verlieren die Kritiker jedes Maß, bis hin zum Nazi- und einem Totalitarismus-Vergleich
Scompler
Ein Nazi-Vergleich ist natürlich in Ordnung, wenn ihr es macht mit eurem Holocaustvergleich oben. Es ist nur nicht ok, wenn andere es machen, die eine „bedenkliche“ Meinung haben.
Wir wollen ja gar nichts verbieten, aber ….
Und auch beim Umgang mit anderen Woke-Anliegen vermuten die Scompler dasselbe Prinzip. Niemand will etwas befehlen und verbieten, es wird nur so dargestellt:
Man muss sich ja beim Gendern nur mal vor Augen führen: Hier wird ja allen Ernstes ein Gender-Verbot diskutiert, um einen nicht existierenden Gender-Zwang zu verhindern.
Scompler
Gendern ist auch so ein Fall, wo es ja niemandem aufgezwungen wird und dann irgendwie doch, etwa von Behörden und Unternehmen. Wie Winnetou nicht gecancelt wird, sondern mit Warnhinweisen versehen und einige neue Bücher erscheinen nicht mehr dazu und … Winnetou ist ja eigentlich schon rassistisch und man dürfte es gar nicht mehr zeigen. „Es gibt kein Recht auf rassistischen Schrott“, heißt es in der taz.
Ich glaube, hier sind einige nicht nur berechtigt wütend auf die verzerrte Berichterstattung der Bildzeitung. Sondern sie fühlen sich auch ertappt.