Rechte oder die wie Pubertierende reden

Ich soll seine Bücher lesen, bevor ich ein Urteil über sein Denken abgebe. Ein paar Online-Publikationen reichen nicht, um einen Denker einzuordnen. Daniel-Pascal Zorn hat mich geschimpft, eine Freundin hat mich geschimpft, die Aufklärung selbst ist enttäuscht von mir. Na gut!

Ich lese nun also Zorns Bücher, angefangen mit „Mit Rechten reden. Ein Leitfaden“ von 2017. Dieses hat der Philosoph zusammen mit dem Historiker Per Leo und dem Juristen Maximilian Steinbeis geschrieben.

Wahrscheinlich habe ich wieder was nicht kapiert. Aber hier ist meine Einschätzung davon, was bei mir angekommen ist.

„Die Republik lebt von Streit, von Rede und Gegenrede, nicht nur von Bekenntnissen und moralischer Zensur“ wird schon auf dem Klappentext festgestellt. Die Autoren kritisieren die Art, wie mit „Rechten“ in unserer Gesellschaft häufig umgegangen wird, man distanziert sich von ihnen, lädt sie aus, vermeidet, verurteilt sie nur demonstrativ, wenn man mit ihnen reden, argumentativ streiten könnte. Nicht auf eine naive Art, sondern nachdem man ihr Sprachspiel und ihre Strategien durchschaut hat. Man muss nicht mit ihnen reden, diese Forderung stellt das Buch nicht auf. Es geht eher darum, was man dazu wissen sollte, wenn man mit ihnen reden möchte.

Argumentieren statt Ausschließen

Ich bin der Auffassung, dass Philosophen das generell in der Tendenz so sehen. Es ist nichts anderes von einem philosophisch gebildeten Menschen zu erwarten, als dass er logisch argumentieren möchte, eine Debatte, ein Streitgespräch der Vermeidung vorzieht. Mögen die besseren Argumente siegen. Und alles andere ist relativ egal. Alleine darum schon fand ich einige Reaktionen auf das Buch unangemessen. Etwa die FAZ-Rezension, die sich über die Idee einer Diskussion mit Rechten mockiert, weil sie dadurch nicht zur Einsicht gebracht werden könnten: „Mein Gott, ja, ihr habt recht, mein Argument ist ja gar nicht schlüssig! Mein Volksbegriff eindimensional, mein Islamkonzept unterkomplex, meine Widerstandsattitüde unhaltbar!“

Wäre das so, könnte man die gesamte Aufklärung bleiben lassen. Irrationale Menschen sind nach dieser Vorstellung inhärent irrational und unfähig, ihre Meinung im Angesicht besserer Argumente zu ändern. Rechte wären eine Art unterbelichtete, unverbesserliche Menschenrasse. Das klingt nach einer kuriosen Meinung für Nicht-Rechte. Auch die Argumente gegen Esoterik, Homöopathie und Islamismus könnte man sich sparen, wenn einige Leute von Natur aus argumentresistent wären. Eine entmündigende Auffassung, die ich nicht teile.

Was zeichnet Rechte aus?

Dazu, was Rechte eigentlich sind, erfährt man im Buch verschiedene Dinge. Offenbar wissen die Rechten das selbst nicht. „Aus unserer Sicht haben die Rechten ein gewaltiges Identitätsproblem. Sie kreisen unentwegt um die Frage, was und wer sie sind (…) Und zugleich fühlen sie sich in ihrer Identität massiv bedroht.“ (S. 29). Als Gegner nähmen Rechte alle jene war, „(d)ie sie in ihrer natürlichen Entfaltung behindern. Die ihnen die Anerkennung verweigern. Die sie verneinen und verstoßen.“ (S. 30).

Das klingt für nach einer psychologischen Einschätzung von Rechten, die über eine reine Sprachanalyse hinausgeht. Dabei lautet eine Ausgangsbasis des Buches: „Im Sinne dieses Begriffs (Sprachspiel) wollen wir als ‚ rechts‘ nicht in erster Linie bestimmte Inhalte bezeichnen, sondern eine Praxis, eine bestimmte Art zu reden“ (S. 28). Ein großer Teil der Publikation befasst sich jedoch kritisch mit gängigen rechten politischen Inhalten, insbesondere die Seiten 135 bis 175. Andere Teile gehen auf die rechte Psyche ein oder kritisieren die Linke für ihren Umgang mit Rechten.

Eine Analyse des rechten Sprachspiels gibt es zwar auch, aber wenn Rechte sich durch eine bestimmte Art zu reden auszeichnen, und diese Art zu reden das vordergründige Problem ist, während die rechten Inhalte „allein noch kein Problem darstellen“ (S. 24), warum dann umfassend auf Inhalte eingehen? Schließlich seien „die Rechten, die wir meinen, inhaltlich viel beweglicher, als man oft denkt“ und könnten manchmal mit Linken, Liberalen und Grünen verwechselt werden (S. 27).

Für das rechte Sprachspiel typisch sei jedenfalls: Die rechte Setzung unterscheide nicht nur die eigene Position von allem, was sie nicht ist, sondern ziehe auch alles, was sie nicht ist, in einer einzigen Position zusammen. (S. 34). Das mag wohl sein, lässt sich allerdings für andere tribalistische Identitätsgruppen ebenso konstatieren. Meiner Erfahrung nach tun nicht zuletzt Anhänger der linken Identitätspolitik genau dasselbe. Wer nicht für sie ist, sei gegen sie, und gegen die Demokratie, gegen Menschenrechte, gegen das Gute überhaupt.

Moralisierende, paternalistische Nicht-Rechte

Die Autoren kritisieren den Moralismus, den Nicht-Rechte zum Problem beigetragen hätten. Der Moralismus nehme die Formen des Ausschlusses und des Paternalismus an. (S. 38-9). „Menschenfeindliche Ideologie dürfe nicht dadurch ’salonfähig‘ gemacht werden, dass man sie ’normalisiert‘, heißt es dann; darum sei es am besten, wenn sei gar nicht erst zu Wort käme und weiterhin ‚unsagbar‘ bliebe.“

Die Moralisierung ist ein Aspekt, der eine Bereitschaft zum Argumentieren untergräbt. „Die Selbstgerechtigkeit einer Moral, die das Gespräch nach Gutdünken entweder verweigert oder erzwingen will, die sich vor der offenen Auseinandersetzung mit dem Starken drückt und den Schwachen ungefragt erzieht, kann bei denen, die ihre Macht zu spüren bekommen, heftige Affekte mobilisieren.“ (S. 39-40).

Dieser Analyse stimme ich zu und auch dem Wunsch, dass Nicht-Rechte den Moralismus bleiben lassen, stattdessen den demokratischen Streit mit Rechten aufnehmen.

Widerspruch provozieren, sich bei Widerspruch als Opfer inszenieren

Der Mythos der Rechten sei „der Mythos vom ewigen, unerlösten Opfer.“ (S. 87). Sie provozieren Widerspruch und geben sich als Opfer, wenn ihnen erwartungsgemäß widersprochen wird. Björn Höckes „Denkmal der Schande“ lässt sich verschiedentlich interpretieren, mal ist das Denkmal die Schande, mal ist es ein Denkmal, das uns an eine Schande erinnert, die das deutsche Volk auf sich geladen hat. Es war zu erwarten, dass einige den Ausspruch im ersten Sinne verstehen und sich darüber aufregen würden, dann konnte Höcke sich als Opfer geben, weil er es im zweiten Sinne gemeint habe.

Neue Rechte, die selbst den Minderheiten angehören, auf die sie normalerweise losgehen, sind auch eine solche Provokation. Zum Beispiel der homosexuelle rechte Aktivist Milo Yiannopoulos. Linke müssten ihn einerseits als Opfer sehen, da er einer zu beschützenden Minderheit angehört, andererseits als Täter, weil er rechts ist. Das irritiert, und soll wohl auch irritieren. Dann kommt Widerspruch, der Ausschluss, und die Rechten können sagen, die heuchlerischen Linken würden Homosexuelle diskriminieren, sobald sie nicht zu ihrem eigenen Stamm gehören.

Sind Rechte in ewiger Pubertät gefangen?

Rechte hätten quasi die Pubertät „als Lebensform“ (S. 108) gewählt. Man müsste vernünftigerweise immer auch versuchen, sich in den gesellschaftlichen Verhältnissen einzurichten, und dem verweigerten sich Rechte.

Das mag wohl für bestimmte Rechte zutreffen, andererseits gibt es doch sehr viele Rechte, die sich in vielerlei Hinsicht in der Gesellschaft eingerichtet haben, die beruflich erfolgreich und verheiratet sind, eine Familie haben, und die trotzdem eine fundamentale Unzufriedenheit mit der liberal-demokratischen Grundordnung zum Ausdruck bringen. Sie verhalten sich also in einem bestimmten Kontext wie Pubertierende, aber es ist doch nicht ihre ganze Lebensform.

Fazit: Inkonsistent, aber trotzdem empfehlenswert

Ich habe „mit rechten Rechten reden“ gelesen, bitteschön. (Foto: Andreas Müller)

Das klang vielleicht recht kritisch, aber ich finde das Buch insgesamt lesens- und empfehlenswert. Es enthält kluge Beobachtungen und treffende Kritik an Rechten wie an Linken. Es wirkt auf mich eher unstrukturiert, widerspricht sich, ist assoziativ und eher reflektierend als konsequent analytisch. Aber ist ist auch mitreißend und spannend geschrieben. Während mich nicht jede These überzeugt, gibt es auch viel Wahres im Buch zu entdecken.

Man sollte allerdings nicht den Fehler machen, Rechte anhand des oben und im Buch beschriebenen Sprachspiels identifizieren zu wollen. Denn dieses Spiel zeichnet nicht nur Rechte aus, sondern sehr viele irrationale Menschen, die sich nach meinem Dafürhalten nicht sinnvoll als „rechts“ bezeichnen lassen.

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