Was ist der Objektivismus?

Der Objektivismus ist eine Alternative zu „rechten“ und „linken“ Weltanschauungen – und eine Alternative zur modernen Philosophie. Im folgenden Essay erläutert der amerikanische Philosoph Craig Biddle die objektivistische Philosophie von Ayn Rand in ihren Grundzügen.

Von Craig Biddle

Heute geht man gemeinhin davon aus, dass unsere moralischen, kulturellen und politischen Alternativen entweder auf die Ideen der säkularen, relativistischen Linken oder auf jene der religiösen, absolutistischen Rechten begrenzt sind – oder auf irgendeine kompromittierte Mischung aus den beiden. Mit anderen Worten sind unsere Ideen entweder extrem „links“ oder extrem „konservativ“ oder irgendwo dazwischen. Ayn Rands Philosophie, der Objektivismus, lehnt diese falsche Alternative ab und bietet eine andere Weltanschauung an.

Der Objektivismus ist vollkommen säkular und absolutistisch[1]; er ist weder links, noch konservativ, noch irgendwo dazwischen. Er erkennt die säkulare (weltliche) Quelle und Natur moralischer Prinzipien an sowie die säkularen moralischen Fundamente einer vollständig freien, vollständigen zivilisierten Gesellschaft. Und er verteidigt sie.

Was die Moral angeht, vertritt der Objektivismus die Tugenden des aufgeklärten Eigeninteresses – Tugenden wie unabhängiges Denken, Produktivität, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Selbstverantwortung. Kulturell engagiert sich der Objektivismus für wissenschaftlichen Fortschritt, Wirtschaftswachstum, objektive (im Gegensatz zu „progressiver“ oder religiöser) Bildung, romantische Kunst – und vor allem für die Ehrfurcht für das Vermögen, das all diese Werte ermöglicht: Die Vernunft. Politisch steht der Objektivismus für reinen Laissez-faire-Kapitalismus – das Gesellschaftssystem der individuellen Rechte und der streng begrenzten Regierung – sowie für die gesamte moralische und philosophische Struktur, von der er abhängt.

„Der Objektivismus ist vollkommen säkular.“

Rand nannte den Objektivismus eine „Philosophie für das Leben auf Erden“. Der Grund, warum er eine Philosophie für das Leben auf Erden ist, lautet, dass jedes seiner Prinzipien aus den beobachtbaren Tatsachen der Realität und den nachweisbaren Bedingungen des menschlichen Lebens und Glücks abgeleitet ist.

Als philosophisches System enthält der Objektivismus Auffassungen über die Beschaffenheit der Realität, über die menschliche Erkenntnismethode, über die menschliche Natur und die Überlebensbedingungen des Menschen, über eine gute Moral, über ein gutes Gesellschaftssystem und über die Natur und den Wert von Kunst. Rand präsentierte ihre Philosophie in vielen belletristischen Büchern und Sachbüchern, darunter The Fountainhead, Atlas Shrugged („Der Streik“), Philosophy: Who Needs It, The Virtue of Selfishness, Capitalism: The Unknown Ideal und The Romantic Manifesto.

Es gibt viel über den Objektivismus zu sagen – viel mehr, als man in einem Buch, geschweige denn in einem Essay darüber sagen könnte. Ferner kann weder ich noch ein anderer – abgesehen von Ayn Rand – für den Objektivismus sprechen; die Philosophie ist genau jener Korpus philosophischer Prinzipien, die ihr Werk enthält. Darum folgt nun eine essenzialisierte Zusammenfassung des Objektivismus, wie ich ihn verstehe. Jegliche Fehler in der Darstellung sind meine.

Die Natur der Realität

Der Objektivismus ist der Auffassung, dass die Realität etwas Absolutes ist – dass Fakten Fakten sind, unabhängig von den Hoffnungen, Ängsten oder Wünschen von irgendwem. Es gibt eine Welt, die von unserem Geist unabhängig ist. Unser Denken muss dieser Welt entsprechen[2], falls unsere Ideen wahr sein und einen praktischen Nutzen in unserem Leben haben sollen und uns somit ermöglichen, unsere Werte zu verfolgen und unsere Rechte zu schützen.

Der Objektivismus lehnt darum die Idee ab, dass die Realität letzten Endes durch die persönliche Meinung oder durch die gesellschaftliche Konvention oder durch „göttliches Gebot“ bestimmt sei. Die Ideen oder Überzeugungen eines Individuums machen die Realität nicht zu dem, was sie ist; noch können sie unmittelbar irgendetwas an ihr verändern; sie entsprechen entweder den Tatsachen der Realität oder sie tun dies nicht. Eine Person mag glauben, dass sich die Sonne um die Erde dreht (was manche Leute auch tun[3]), aber darum ist es nicht so.

Ebenso haben die akzeptierten Ideen oder Normen einer Gesellschaft oder Kultur keine Auswirkungen auf die Natur der Realität; sie sind entweder mit den Tatsachen der Realität vereinbar oder sie sind es nicht. Manche Kulturen glauben, dass die Erde eine Scheibe ist, dass Sklaverei gut ist, dass Frauen Männern geistig unterlegen sind. Solche Überzeugungen verändern nicht die Natur dessen, was ist; sie widersprechen der Realität; sie sind falsch.

„Wenn Menschen ihre Ziele erreichen wollen, dann müssen sie die Natur der Realität anerkennen.“

Was die angebliche Existenz eines „übernatürlichen“ Wesens angeht, das die Realität erschafft und beherrscht: Es gibt keine Belege oder rationalen Argumente, die dafür sprechen. Dinge in der Natur können nur Belege für die Existenz von Dingen in der Natur sein (wie beispielsweise Fossilien für die Evolution sprechen); sie können keine Belege für die Existenz von Dingen „außerhalb der Natur“ oder „über der Natur“ oder „jenseits der Natur“ sein. Die Natur ist alles, was es gibt; sie ist die Summe dessen, was existiert; etwas „außerhalb der Natur“ wäre „außerhalb der Existenz“ – das heißt: Nicht existent. Die Natur ist kein Beleg für die Existenz einer „Über-Natur“. Es gibt keine Belege für die Existenz eines „übernatürlichen“ Wesens; es gibt nur Bücher, Traditionen und Leute, die sagen, dass es existiert. Behauptungen ohne Belege, Berufungen auf die Tradition und Berufungen auf Autoritäten sind keine vernünftigen Argumente; sie sind Schulbuch-Beispiele für logische Fehlschlüsse.

Weder individuelle Überzeugungen, noch weit verbreiteter Konsens, noch der Wille eines „übernatürlichen“ Wesens hat irgendeine Wirkung auf die Welt. Die Realität ist nicht durch einen Geist erschaffen worden und wird auch nicht durch einen Geist beherrscht. Die Realität ist einfach. Die Existenz existiert einfach – und alles darin ist etwas Bestimmtes; alles ist, was es ist und kann nur seiner Identität gemäß handeln. Eine Rose ist eine Rose; sie kann erblühen; sie kann nicht sprechen. Eine Diktatur ist eine Diktatur; sie zerstört Leben; sie kann dem Leben nicht förderlich sein. Der Glaube ist der Glaube (d.h. die Akzeptanz von Ideen in Abwesenheit von Belegen); er führt zu grundlosen Überzeugungen; er kann kein Wissen bereitstellen.

Die praktische Bedeutung dieses Umstands lautet: Wenn Menschen ihre Ziele erreichen wollen – wie Wissen zu erwerben, Wohlstand anzuhäufen, Glück zu erzielen, Freiheit zu etablieren und aufrechtzuerhalten – dann müssen sie die Natur der Realität anerkennen. Die Realität fügt sich nicht unseren Wünschen; wir müssen uns ihren Gesetzen beugen. Falls wir Wissen anstreben, so müssen wir die Realität beobachten und denken; falls wir Wohlstand anstreben, so müssen wir ihn produzieren; falls wir das Leben genießen möchten, so müssen wir entsprechend denken, planen und handeln; falls wir Freiheit möchten, müssen wir ihre Ursache identifizieren und ihr Gesetzeskraft verleihen. Wir können solche Ziele nicht durch Wünschen, Wählen oder Beten erreichen.

Die menschliche Erkenntnismethode

Der Objektivismus ist der Auffassung, dass die Vernunft – das Vermögen, das mit Beobachtung und Logik funktioniert – die menschliche Erkenntnismethode ist. Der Mensch gelangt an Wissen, indem er die Realität mit seinen fünf Sinnen wahrnimmt, Begriffe und Prinzipien auf der Grundlage seiner Wahrnehmungen formt, seine Ideen auf ihre Übereinstimmung mit der Realität überprüft und jegliche Widersprüche korrigiert, die er in seinem Denken entdeckt. Auf diese Weise entdecken Wissenschaftlicher in ihren jeweiligen Fachbereichen Fakten, von landwirtschaftlichen Prinzipien bis zur Existenz von Atomen und der Struktur der DNS; so entwerfen Erfinder und Ingenieure lebensbereichernde Maschinen und Geräte, von Autos bis zu Herzschrittmachern und MP3-Playern; so finden Geschäftsleute Möglichkeiten, Güter und Dienstleistungen zu produzieren und sie bereitzustellen, von Kühlschränken bis zu Filmen und kabellosem Internetzugang; so diagnostizieren und heilen (oder behandeln) Ärzte Krankheiten, von Kinderlähmung bis zu Sichelzellenanämie und Brustkrebs; so lernen Kinder das Sprechen, Mathematik und Umgangsformen; so entdecken Philosophen die Natur des Universums, die menschliche Natur und gute Prinzipien für die Moral, die Politik und die Ästhetik. Die Vernunft ist die Methode, mit der jeder etwas über die Welt, über sich selbst und seine Bedürfnisse erfährt. Das menschliche Wissen – sämtliches menschliches Wissen – ist ein Produkt von Beobachtungen mit unseren Sinnen und logischen Schlussfolgerungen aus jenen Beobachtungen.

„Der Mensch hat nur eine Erkenntnismethode: Die Vernunft“

Aus diesem Grunde lehnt der Objektivismus jede Form des Mystizismus ab – die Auffassung, dass Wissen ohne Sinneswahrnehmung, durch nicht-rationale Methoden (wie religiösen Glauben, Intuition, außersinnliche Wahrnehmung oder jede andere Form von „einfach wissen“) erhalten werden könnte. Der Objektivismus lehnt auch den Skeptizismus ab – die Auffassung, dass Wissen unmöglich sei, dass es auf keine Weise erhalten werden könnte. Der Mensch kann eindeutig Wissen erhalten. Er hat dies getan und tut dies weiterhin; man erkennt es anhand der Tatsache, dass er all das erreicht hat, was er erreicht hat.

Kurz gesagt hat der Mensch eine Erkenntnismethode; nämlich die Vernunft – und nur die Vernunft. Falls die Leute wissen möchten, was wahr, gut und richtig ist, dann müssen sie die Realität beobachten und Logik gebrauchen.

Die menschliche Natur und Überlebensmethode

Der Objektivismus ist der Auffassung, dass der Mensch einen freien Willen hat – das Vermögen, zu denken oder nicht zu denken, seine Vernunft zu gebrauchen oder sie nicht zu gebrauchen, sich von Fakten oder von Gefühlen leiten zu lassen. Eine Person muss ihre Vernunft nicht gebrauchen; sie hat die Wahl. Wie die Wahl auch ausfällt, so bleibt die Tatsache bestehen, dass der Mensch das vernunftbegabte Tier ist; die Vernunft ist seine einzige Erkenntnismethode und darum seine grundlegende Überlebensmethode. Eine Person, die ihre Vernunft nicht gebrauchen möchte, kann nicht leben und gedeihen.

Der Mensch überlebt, indem er die Realität beobachtet, die Natur der Dinge identifiziert, kausale Beziehungen erkennt und die logischen Schlüsse zieht, um die Dinge, die er zum Überleben braucht, herzustellen. Soweit sich ein Mensch dazu entscheidet, die Vernunft zu gebrauchen, kann er die Dinge identifizieren und anstreben, die er zum Überleben und zum Glück benötigt – Dinge wie Wissen, Nahrung, Obdach, Gesundheitsfürsorge, Kunst, Erholung, romantische Liebe und Freiheit. Soweit sich ein Mensch weigert, die Vernunft zu gebrauchen, kann er diese Bedürfnisse nicht identifizieren oder anstreben; er stirbt entweder oder überlebt parasitär vom Geist jener, die sich entscheiden, ihre Vernunft zu gebrauchen. Auf jeden Fall ist die Vernunft die grundlegende Überlebensmethode des Menschen und der freie Wille – die Wahl, die Vernunft zu gebrauchen oder sie nicht zu gebrauchen – ist die Essenz seiner Natur.

„Der Charakter einer Person ist das Ergebnis ihrer Entscheidungen“

Der Objektivismus lehnt daher die Behauptung ab, der Mensch wäre von Natur aus verdorben (d.h. den Gedanken der „Ursünde“ oder die Hobbe’sche Auffassung vom Menschen als Wilden) und sein Charakter notwendigerweise verkommen oder barbarisch. Der Objektivismus verneint auch die Behauptung, der Mensch habe gar keine Natur (d.h. die moderne, verdrehte Interpretation des Menschen als „unbeschriebenes Blatt“) und sein Charakter wäre das Ergebnis gesellschaftlicher Einflüsse wie der Erziehung oder ökonomischer Bedingungen. Der Charakter einer Person ist weder von Natur aus schlecht, noch das Ergebnis gesellschaftlicher Einflüsse; er ist vielmehr das Ergebnis ihrer Entscheidungen. Falls sich ein Individuum dazu entschließt, Fakten ins Gesicht zu sehen, rational zu denken, produktiv zu sein und so weiter – und dadurch einen guten Charakter entwickelt –, dann ist das seine Errungenschaft. Falls sich ein Individuum weigert, Tatsachen anzuerkennen, zu denken und produktiv tätig zu sein, so entwickelt er einen schlechten Charakter – und das ist seine Schuld.

Der Mensch hat einen freien Willen und darum braucht er eine Moral: Einen Wertecodex als Leitlinie für seine Entscheidungen und Handlungen.

Eine gute Moral

Die Moral dient laut dem Objektivismus dem Zweck, den Menschen eine grundsätzliche Leitlinie für das Leben und das Erlangen von Glück auf Erden anzubieten. Der angemessene Maßstab der moralischen Werte ist das Leben des Menschen – das heißt: Seine tatsächlichen Überlebensbedingungen, wie sie seine Natur bestimmt. Da Menschen Individuen sind und alle ihren eigenen Körper, ihren eigenen Geist, ihr eigenes Leben haben, bezieht sich dieser Maßstab auf Menschen als Individuen (nicht als Schrauben in einem utilitaristischen Kollektiv). Laut diesem Prinzip ist das Gute das, was das Leben eines Individuums unterstützt und es fördert; das Böse ist das, was es behindert oder zerstört. Moralisch zu sein bedeutet, die notwendigen Handlungen vorzunehmen, um das eigene Leben zu erhalten und es zu voranzubringen – Handlungen wie rationales Denken und Planen für die Zukunft, ehrlich zu sein und Integrität zu besitzen, Güter oder Dienstleistungen zu produzieren und sie mit anderen zu teilen, Menschen rational (laut den relevanten Fakten) zu beurteilen und sie entsprechend zu behandeln und so weiter. Laut dem Objektivismus ist man moralisch, wenn man im aufgeklärten Eigeninteresse handelt oder egoistisch ist.

Das aufgeklärte Eigeninteresse, das im Zentrum des Objektivismus steht, besagt, dass jedes Individuum in seinem eigenen besten Interesse handeln sollte und der angemessene Nutznießer seiner eigenen moralischen Handlungen ist. Das Prinzip ist die Anerkennung der Tatsache, dass die Menschen im eigenen Interesse handeln und die Vorzüge daraus genießen müssen, wenn sie leben möchten. Die Menschen brauchen den Egoismus (ich benutze „aufgeklärtes Eigeninteresse“ und „Egoismus“ aus Gründen austauschbar, die ich noch ausführen werde).

Der Objektivismus lehnt daher die Moral des Altruismus ab – die Auffassung, dass es moralisch sei, sich für den Dienst an anderen aufzuopfern (ob es die Armen sind, das „Gemeinwohl“, „Mutter Natur“ oder „Gott“). Der Objektivismus lehnt auch die Auffassung ab, dass Raub – die Aufopferung anderer für den eigenen vermeintlichen Vorteil – dem eigenen Leben oder Glück förderlich sein könnte. Der Objektivismus lehnt ferner den Hedonismus ab – die Auffassung, dass jegliches Handeln moralisch sei, welches einem Lust verschafft (oder dass man tun soll, wonach man sich fühlt).

Man nehme zunächst den Altruismus.

Der Altruismus ist, im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Irrtum, nicht die Moral, die besagt, man solle „nett zu anderen Menschen sein“ oder „Dinge für andere tun“; er ist vielmehr die Moral der Selbstaufopferung – das bedeutet den Dienst an anderen auf Kosten der eigenen, lebensdienlichen Werte. Das grundlegende Prinzip des Altruismus lautet, dass eine Handlung selbstlos sein muss, um moralisch zu sein. Soweit ein Mensch selbstlos handelt, ist er moralisch; soweit er es nicht tut, ist er es nicht. Falls er einen Wert aufgibt, ohne dadurch etwas für sich zu erreichen, ist er moralisch; falls er durch eine Handlung etwas für sich erreicht, ist er nicht moralisch. Falls, zum Beispiel, ein ehrenamtlicher Sozialarbeiter seine Zeit und seinen Aufwand im Austausch für gar nichts weggibt, dann ist er moralisch. Falls ein Softwareentwickler ein Produkt erschafft, das die Menschen lieben und es mit ihnen gegen einen Gewinn tauscht, dann ist er nicht moralisch. Das besagt der Altruismus. Der Egoismus widerspricht.

„Der Egoismus lehnt prinzipiell alle Formen des Menschenopfers ab“

Der Egoismus, der auch häufig falsch verstanden wird, ist nicht die Moral, die besagt, man solle „Menschen hintergehen, um zu bekommen, was man will“ oder „seinen entfesselten Gelüsten nachgeben“. Diese Karikaturen des Egoismus werden von den Vertretern des Altruismus verbreitet, die Menschen überzeugen möchten, dass die einzigen Alternativen darin bestehen, sich selbst oder andere aufzuopfern. Das sind laut dem Objektivismus keineswegs die einzigen Alternativen.

Der Egoismus ist die Moral der Nicht-Aufopferung; er lehnt prinzipiell alle Formen des Menschenopfers ab – sowohl Selbstaufopferung wie die Opferung anderer. Er besagt, dass es moralisch ist, die eigenen lebensfördernden Werte auf vernünftige Weise anzustreben und somit weder sich selbst für andere, noch andere für sich selbst zu opfern.

Der Egoismus vertritt das Prinzip der Nicht-Aufopferung – die Auffassung, dass man niemals einen größeren Wert für einen geringeren Wert aufgeben sollte. Dieses Prinzip ist die Anerkennung der Tatsache, dass es dem eigenen Leben und Glück zuwiderläuft, die Bedingungen des eigenen Lebens und Glücks aufzugeben. Gewiss erfordert das Leben, dass die Menschen regelmäßig zu Gunsten größerer Werte auf kleinere verzichten; das ist aber insgesamt ein Gewinn und kein Opfer. Ein Opfer zu erbringen bedeutet, dass man etwas, das für das eigene Leben und Glück wichtiger ist, für etwas aufgibt, das weniger wichtig für das eigene Leben und Glück ist; und somit führt es insgesamt zu einem Verlust.

Um zu leben, müssen Menschen Werte anstreben und sie nicht aufgeben. Laut dem Egoismus handelt eine Person also moralisch, wenn sie ihre lebensdienlichen Werte anstrebt und sich weigert, sie aufzuopfern. Sie handelt unmoralisch, soweit sie das nicht tut. Falls sie Werte erschafft und sie mit anderen gewinnbringend tauscht (ob für einen spirituellen oder materiellen Gewinn), ist sie dadurch moralisch; sie verdient sich Werte, von denen ihr Leben und Glück abhängen. Falls eine Person ihre Werte ohne Gewinn jeglicher Art (ob materiell oder spirituell) weggibt, dann ist sie dadurch unmoralisch; sie verzichtet auf Werte, von denen ihr Leben und Glück abhängt.

„Ein ehrenamtlicher Sozialarbeiter ist unmoralisch“

Aus dieser Sicht handelt ein Software-Entwickler, der sein Produkt mit anderen für einen Gewinn tauscht, moralisch. Ein ehrenamtlicher Sozialarbeiter, der seine Zeit und seinen Aufwand für nichts weggibt, ist daher unmoralisch. Ebenso sind Eltern, welche die Bildung ihres Kindes höher werten als einen neuen Sportwagen und die, um für die Bildung des Kindes zahlen zu können, auf das Auto verzichten, moralisch. Ein Soldat, der für die Freiheit kämpft, weil ein Leben ohne Freiheit nicht lebenswert ist („Gebt mir Freiheit oder gebt mir den Tod!“), handelt moralisch; jemand, der kämpft, weil er blind dem angeblichen Befehl eines „übernatürlichen“ Wesens gehorcht, handelt nicht moralisch. Und so weiter.

Es gibt einen Schwarz-Weiß-Unterschied zwischen dem Aufgeben von Werten für gar nichts und dem Handel von Werten für einen Gewinn. Der Altruismus fordert ersteres, der Egoismus letzteres.

Der Egoismus beruht auf den Bedingungen des menschlichen Lebens auf Erden und ist von diesen abgeleitet; darum können Menschen ihn konsequent leben und müssen das auch tun – falls sie leben und das meiste aus ihrem Leben machen möchten. Der Altruismus kann nicht konsequent praktiziert werden. Wer die altruistische Moral akzeptiert, muss sie hintergehen, um nur am Leben zu bleiben; zum Beispiel muss er egoistisch ein Gehalt verdienen, damit er sich etwas zu essen kaufen kann.

Angesichts der vielen Werte, von denen das menschliche Leben und Glück abhängen – von materiellen Werten wie Nahrung, Unterkunft, Kleidung, medizinische Versorgung, Autos und Computer bis zu spirituellen Werten wie Wissen, Selbstvertrauen, Kunst, Freundschaft, romantische Liebe und Freiheit – brauchen die Menschen eine ganze Menge Orientierung, um Entscheidungen treffen und handeln zu können. Sie benötigen moralische Prinzipien, die dem Ziel zuträglich sind, ein erfülltes und glückliches Leben zu führen. Als Antwort auf dieses Bedürfnis bietet der Egoismus ein vollständiges System von integrierten, widerspruchsfreien Prinzipien, deren einziger Zweck darin besteht, dem Menschen zu lehren, wie man lebt und sein Leben genießt. Als Antwort auf dasselbe Bedürfnis sagt der Altruismus: Sei nicht egoistisch, opfere deine Werte auf, gebe deine Bedürfnisse auf. Falls Menschen leben und glücklich sein möchten, ist nur eine dieser Ethiken zielführend.

Der Altruismus ist für das eigene Leben nicht gut. Falls er akzeptiert und konsequent praktiziert wird, führt er zum Tod. Das ist das, was Jesus getan hat. Falls er akzeptiert und inkonsequent praktiziert wird, beschränkt er das Leben und führt zu Schuld. Das ist es, was die meisten Altruisten tun. Ein Altruist muss nicht aufgrund seiner Moral sterben – solange er sie hintergeht – aber er wird auch kein erfülltes Leben führen; er wird nicht die Art von Glück erlangen, die dem Menschen möglich ist.

Der Egoismus ist gut für das eigene Leben. Falls er akzeptiert und konsequent praktiziert wird, führt er zu einem glücklichen Leben. Falls er akzeptiert und inkonsequent praktiziert wird – nun, es gibt keinen Grund, hier inkonsequent zu sein. Warum sollte man kein glückliches Leben führen? Warum sollte man überhaupt etwas opfern? Welchen Grund gibt es dafür, so etwas zu tun? In der gesamten Philosophiegeschichte gibt es keine vernünftige Antwort auf diese Frage.

„Laut dem Objektivismus sind die Bedingungen des menschlichen Lebens der Wertemaßstab.“

Es gibt keinen Grund, sich auf eine aufopferungsvolle Weise zu verhalten. Darum hat noch niemals jemand einen Grund dafür genannt. Es gibt ebenso keine vernünftige Rechtfertigung für die Opferung anderer, weshalb auch noch niemals jemand eine vernünftige Rechtfertigung dafür genannt hat.

Raub (die Opferung anderer für den eigenen vermeintlichen Vorteil) ist ebenso wenig im eigenen besten Interesse wie der Altruismus. Das Glück ist, wie alles auf der Welt, etwas Bestimmtes; es hat eine bestimmte Natur. Glück ist der Geisteszustand, der aus dem erfolgreichen Anstreben rationaler, lebensdienlicher Werte folgt. Wahres Glück entsteht aus dem Erreichen von Werten, nicht aus dem Diebstahl von Werten; aus dem rationalen Denken und der produktiven Tätigkeit, nicht aus der Aufgabe des eigenen Geistes und dem parasitären Leben vom Denken und den Anstrengungen anderer; daraus, sich romantische Liebe zu verdienen und leidenschaftlichen Sex zu haben, nicht aus der Vergewaltigung von anderen. Absichtlich ein Parasit des Geistes, der Anstrengungen und des Körpers anderer Menschen zu werden – sich gezielt zu einer weniger als menschlichen Kreatur herabzusetzen – ist das Selbstloseste, was ein Mensch tun kann. Räuber ignorieren oder leugnen diese Tatsache, aber das schließt sie nicht davon aus. Wie sich die Sonne nicht um die Erde dreht (was man darüber auch glauben mag), so kann ein Mensch nicht durch die Opferung anderer Menschen glücklich werden (was er auch behaupten mag).

Die Behauptung von Räubern, dass sie die Opferung anderer glücklich mache, ist nur das: Eine Behauptung. Sie beruht nicht auf Belegen (das provisorische Grinsen eines Kriminellen und sein gestohlenes Geld sind keine Belege für sein Glück). Sie beweist nichts (ein Beweis ist eine logische Schlussfolgerung auf der Grundlage von Belegen). Ferner widerspricht eine solche Behauptung direkt der überprüfbaren Tatsache, dass rationales Denken, produktive Errungenschaften, wahres (verdientes) Selbstvertrauen und die Gewissheit des eigenen moralischen Wertes Bedingungen für das Glück sind.

Am Ende sind die Ausflüchte und Behauptungen von Räubern für gute Menschen in einer rationalen Gesellschaft von geringer Bedeutung. Wie ich im Abschnitt über Politik aufzeigen werde, hat eine rationale Gesellschaft eine effiziente Methode, mit solchen Leuten fertigzuwerden.

Was schließlich die hedonistische Moral angeht: Nur weil sich jemand danach fühlt, etwas zu tun oder Lust dabei empfindet, heißt das nicht, dass es in seinem besten Interesse ist, es zu tun. Aus diesem Grund ermutigen rationale Eltern ihre Kinder, zu denken, bevor sie handeln, zu akzeptieren, dass Entscheidungen über den unmittelbaren Augenblick hinaus Folgen haben und die Bedingungen des menschlichen Lebens und Glücks auf lange Sicht zu erlernen und sie entsprechend in ihren Handlungen zu berücksichtigen. Aus diesem Grunde folgen rationale Eltern auch selbst nicht jedem Drang oder jeder Leidenschaft. Und darum sind Obdachlose und Drogenabhängige keine glücklichen Menschen.

„Falls die Menschen leben und glücklich sein möchten, dann dürfen sie weder sich selbst, noch andere opfern.“

Wahres Glück entsteht aus der Identifizierung und dem Anstreben der langfristigen materiellen und spirituellen Bedingungen des eigenen Lebens, wie sie die eigene Natur festgelegt hat. Um diese höchst komplexen Bedürfnisse zu verstehen und sie zu erreichen, bietet der Egoismus ein ganzes System rationaler Erklärungen und Prinzipien an, während der Hedonismus sagt: Achte nicht auf deine Natur oder deine Bedürfnisse; tue, was immer dir Lust verschafft; tue, wonach du dich fühlst. Der Hedonismus rät also unter dem Deckmantel des Eigeninteresses zur Selbstzerstörung.

Letztlich geht es um die Maßstäbe, die man anlegt. Der altruistische Wertemaßstab ist die Selbstaufopferung. Der Wertemaßstab des Räubers sind seine Launen. Der hedonistische Wertemaßstab ist die Lust oder es sind die Gefühle. Laut dem Objektivismus und dem aufgeklärten Eigeninteresse sind die Bedingungen des menschlichen Lebens der Wertemaßstab.

Laut dem Maßstab des menschlichen Lebens sollte jedes Individuum sein eigenes Leben für sich selbst lieben. Es sollte rational denken und seine lebensfördernden Ziele anstreben, wie eine wunderbare Karriere, eine leidenschaftliche romantische Beziehung, Freizeitaktivitäten, die Spaß machen, großartige Freundschaften, eine rationale Kultur und ein gesellschaftliches System, das sein Recht schützt, all dies zu tun.

Das menschliche Leben erfordert kein Menschenopfer; die Menschen können leben, ohne ihren Geist, ihre Werte, ihr Leben aufzugeben; die Leute können leben, ohne sich gegenseitig zu ermorden, sich anzugreifen oder zu betrügen. Das Menschenopfer kann weder das menschliche Leben, noch das Glück fördern; es kann nur zu Leid und Tod führen. Falls die Menschen leben und glücklich sein möchten, dann dürfen sie weder sich selbst, noch andere opfern; sie müssen vielmehr lebensdienliche Werte anstreben und das Recht anderer, dies ebenso zu tun, respektieren. Das ist das grundlegende Prinzip des aufgeklärten Eigeninteresses – und die moralische Grundlage eines guten Gesellschaftssystems.

Ein gutes Gesellschaftssystem

Im politischen Bereich erkennt der Objektivismus an, dass eine Person, die handeln möchte, um ihr Leben zu bereichern, die Freiheit dazu haben muss. Sie muss die Freiheit haben, den Urteilen ihres Verstandes gemäß zu handeln – ihre grundlegende Überlebensmethode. Das einzige, was einen Menschen davon abhalten kann, sind andere Menschen und die einzige Möglichkeit, wie sie ihn davon abhalten können, ist durch physische Gewalt. Um also friedlich in einer Gesellschaft zusammen zu leben – um als zivilisierte Wesen und nicht als Barbaren zusammenzuleben – müssen die Menschen auf den Gebrauch physischer Gewalt gegeneinander verzichten. Diese Tatsache führt zum Prinzip der individuellen Rechte – das Prinzip des Egoismus, wenn er auf die Politik angewandt wird.

Das Prinzip der individuellen Rechte ist die Anerkennung der Tatsache, dass jede Person moralisch ein Selbstzweck ist, kein Mittel zum Zwecke anderer; darum muss sie aus moralischen Gründen die Freiheit haben, gemäß ihres eigenen Urteils für sich selbst zu handeln, solange sie nicht dasselbe Recht anderer verletzt. Dieses Prinzip ist keine Angelegenheit persönlicher Meinungen oder gesellschaftlicher Konventionen oder „göttlicher Offenbarung“; es ist aus den tatsächlichen Bedingungen des menschlichen Lebens in einem gesellschaftlichen Zusammenhang abgeleitet.

Eine moralische Gesellschaft – eine zivilisierte Gesellschaft – ist die einzige, in der die Einleitung physischer Gewalt gegen Menschen gesetzlich verboten ist. Und das einzige Gesellschaftssystem, in dem eine solche Gewalt – konsequent und prinzipiell – verboten ist, ist der reine Laissez-faire-Kapitalismus.

„In einer kapitalistischen Gesellschaft können individuelle Rechte von niemandem auf legale Weise verletzt werden.“

Der Kapitalismus – bei dem es sich, im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Fehlbildung, nicht nur ein Wirtschaftssystem handelt – ist das Gesellschaftssystem der individuellen Rechte, inklusive Eigentumsrechte, die durch eine streng begrenzte Regierung geschützt werden. Wenn Menschen in einer Laissez-faire-Gesellschaft miteinander umgehen möchten, können sie das nur auf freiwilliger Basis, durch eine zwanglose Vereinbarung, tun. Falls sie von anderen Güter oder Dienstleistungen erhalten möchten, so können sie anbieten, zum gegenseitigen Vorteil Werte für Werte zu tauschen; sie dürfen allerdings keine Werte von anderen mittels physischer Gewalt anstreben. Die Menschen sind vollkommen frei, gemäß ihres eigenen Urteils zu handeln und also ihr Eigentum herzustellen, es zu behalten, es zu verwenden und es loszuwerden, wie sie es wünschen; das einzige, wozu sie nicht die „Freiheit“ haben, ist, die Rechte anderer zu verletzen. In einer kapitalistischen Gesellschaft können individuelle Rechte von niemandem auf legale Weise verletzt werden – auch nicht von der Regierung.

Der einzige Regierungszweck ist in einem solchen System der Schutz der individuellen Rechte der Bürger durch die Polizei (um mit Kriminellen im Land fertigzuwerden), das Militär (um ausländische Aggressoren zu bekämpfen) und die Gerichte (um Streitfragen gerichtlich zu entscheiden). Die Regierung hat zwar ein Monopol auf den legalen Gebrauch von Gewalt, aber es ist ihr verfassungsmäßig untersagt, Gewalt auf irgendeine Weise einzuleiten – und sie ist verfassungsmäßig verpflichtet, Gegengewalt einzusetzen, soweit es für den Schutz der Rechte der Bürger notwendig ist.

Zum Beispiel ist es der Regierung im Kapitalismus verboten, das Eigentum unschuldiger Bürger zu beschlagnahmen [z.B. Art. 15 GG, „Vergesellschaftung“], gewaltsam das Eigentum umzuverteilen [z.B. Wohlfahrtsstaat, progressive Einkommensteuer], die Bedingungen privater Verträge zu bestimmen [z.B. Mindestlohn, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)], die Mutterschaft vorzuschreiben [z.B. Gesetze gegen Abtreibung wie §§ 218 ff. StGB], den wissenschaftlichen Fortschritt zu behindern [z.B. Gesetze gegen Gentechnik, Stammzellenforschung], Bürger zu zwingen, religiöse Organisationen zu finanzieren [z.B. Staatszuschüsse aufgrund von Konkordaten, Ausbildung von kirchlichen Theologen an staatlichen Universitäten] und Zwangsdienste für die Gemeinschaft zu verlangen [z.B. früher Wehrpflicht, Ersatzdienst]. Zugleich ist es die Aufgabe der Regierung, Gesetze gegen Mord, tätlichen Angriff, Vergewaltigung, Kindesmissbrauch, Betrug, Erpressung, Urheberrechtsverletzung, Rufmord und dergleichen zu erlassen. Die Regierung hat außerdem die Aufgabe, ausländische Aggressoren ohne großes Aufhebens zu beseitigen, die Gewalt gegen ihre Bürger und deren Interessen androhen oder sie einleiten.

Der Kapitalismus – nicht die Mischsystem der heutigen Vereinigten Staaten, sondern echter Kapitalismus – ist das einzige Gesellschaftssystem, das konsequent jedem, inklusive der Regierung, verbietet, Menschen anzugreifen oder ihr Eigentum zu stehlen. Er ist das einzige System, das individuelle Rechte auf Grundlage eines unerschütterlichen Prinzips respektiert und schützt. Mit anderen Worten ist der Kapitalismus das einzige System, das die Lebensbedingungen des Menschen in einem gesellschaftlichen Zusammenhang institutionalisiert. Kein anderes Gesellschaftssystem auf der Welt tut das. Wenn also das menschliche Leben der moralische Wertemaßstab ist, dann ist der Kapitalismus das einzige moralische Gesellschaftssystem.

„Der Kapitalismus ist das einzige Gesellschaftssystem, das konsequent jedem verbietet, Menschen anzugreifen oder ihr Eigentum zu stehlen.“

Die Unterstützung des Laissez-faire-Kapitalismus bedeutet auch, dass der Objektivismus die konservative Politik ablehnt – wie etwa die Idee, dass wir unseres Bruders Hüter wären [Genesis 4:9] und darum zum eigenen Nachteil Fremden dienen müssten (z.B. wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen); die Auffassung, dass man erfolgreiche Geschäftsleute zum Wohle der „kleinen Leute“ regulieren (d.h. nötigen) sollte (als ob die sogenannten kleinen Leute nicht durch ihr eigenes rationales Denken im Leben Erfolg haben könnten); die Meinung, dass Schüler in staatlichen Schulen mit „Intelligent Design“ indoktriniert werden oder zum Beten gezwungen werden sollten; die Meinung, dass es Wissenschaftlern untersagt sein sollte, embryonale Stammzellenforschung zu betreiben, während Männer, Frauen und Kinder an schrecklichen Krankheiten leiden, die man anderweitig heilen könnte („Wir dürfen nicht Gott spielen“) – und dass jene, die an solchen Krankheiten leiden, zum Leben gezwungen werden müssten, wenn sie verzweifelt sterben möchten („Wir dürfen nicht Gott spielen“); die Auffassung, dass Homosexuelle nicht die Freuden der Sexualität erfahren dürften („Gott ist dagegen“) und die Überzeugung, dass das amerikanische Militär zum eigenen Nachteil Wilden die „Freiheit“ bringen müsste („Gottes Geschenk für den Menschen“), geschweige denn „Demokratie“ (d.h. schrankenlose Herrschaft der Mehrheit), anstatt aus aufgeklärtem Eigeninteresse und möglichst schnell Amerikas gefährlichste Feinde zu zerstören („Liebe deine Feinde“).

Der Objektivismus lehnt ebenso die linksliberale Politik ab – wie die Auffassung, dass Menschen ein „Recht“ darauf hätten, dass ihnen bestimmte Güter oder Dienstleistungen gegeben werden (was offenkundig bedeutet, dass jemand gezwungen werden muss, sie ihnen zu geben); die Überzeugung, dass Regierungsbehörden, Privatunternehmen und Schulen gezwungen werden sollten, rassistische politische Maßnahmen wie Quotenregelungen zugunsten von Minderheiten oder Diversity-Training umzusetzen ; die Meinung, dass Schüler staatlicher Schulen mit dem „Multikulturalismus“ genannten Relativismus oder der Religion namens „Umweltschutz“ indoktriniert werden sollten; die Auffassung, dass man Menschen zwingen sollte, Ideen oder Kunst zu finanzieren, die sie nicht haben wollen [z.B. öffentlich-rechtliches Fernsehen oder staatliche Kunstförderung] und die Behauptung, dass Amerika kein Recht hätte, in Regimen zu intervenieren oder ihnen „westliche Werte aufzuzwingen“ (ganz zu schweigen davon, sie zu zerstören), die für die Tötung von amerikanischen Bürgern verantwortlich sind.

Schließlich richtet sich der Objektivismus nachdrücklich gegen die Politik des Libertarismus – die anti-intellektuelle Bewegung, die behauptet, für die „Freiheit“ einzutreten, während sie die moralischen und philosophischen Fundamente der Freiheit schamlos ignoriert oder leugnet. Freiheit kann nicht einmal definiert, geschweige denn verteidigt werden, ohne dass man Antworten auf Fragen wie die folgenden liefern kann: Was ist die Natur der Realität? Was ist die menschliche Erkenntnismethode? Was ist das Gute? Was sind Rechte und woher kommen sie? Libertäre sagen, dass das „Nichtangriffsprinzip“ ein „Axiom“ wäre oder dass die Freiheit mit jeder dahergelaufenen philosophischen Grundlage verteidigt werden könnte – ob christlich, jüdisch, muslimisch, buddhistisch, atheistisch, altruistisch, egoistisch, subjektivistisch, relativistisch, postmodernistisch – oder mit gar keiner Grundlage. Das ist einfach absurd. (Das soll nicht bedeuten, dass jeder, der sich „libertär“ nennt, anti-intellektuell wäre; vielmehr bedeutet es, dass jeder Versuch, die Freiheit zu verteidigen und dabei ihre intellektuellen Fundamente ignoriert oder leugnet, anti-intellektuell ist.)

„Die freiheitliche Politik ist die Politik des Eigeninteresses“

Im Gegensatz zum Konservatismus, Linksliberalismus und Libertarismus hängt eine freiheitliche Politik von der egoistischen Ethik ab – die wiederum von der Vernunftphilosophie abhängt – die mit der grundlegenden Beschaffenheit der Realität begründet ist: Die Tatsache, dass die Dinge (inklusive Menschen) sind, was sie sind und dass sie nur in Übereinstimmung mit ihren Identitäten handeln (und leben) können. Die freiheitliche Politik ist die Politik des Eigeninteresses; sie kann nicht mit der Ethik der Selbstaufopferung verteidigt werden – oder mit einer Philosophie der Unvernunft, Unwirklichkeit oder des „Übernatürlichen“ – oder mit gar keiner Philosophie.

Objektivisten sind keine Konservativen, sondern, wie Rand es ausgedrückt hat, „Radikale für den Kapitalismus“ (d.h. Vertreter seiner Wurzel oder seines Fundaments). Objektivisten sind keine „Liberalen“, sondern Absolutisten für die Freiheit. Objektivisten sind keine Libertären, sondern Fundamentalisten für die Freiheit. Das ist darum so, weil Objektivisten Radikale für die Vernunft sind – und deren Grundlage ist: Die Realität.

Wenden wir uns nun der Kunst zu, die dem Objektivismus zufolge ebenso auf einer rationalen, objektiven Grundlage beruht und einen bestimmten lebensdienlichen Zweck erfüllt wie Ethik und Politik.

Die Natur und der Wert von Kunst

Dem Objektivismus zufolge ist Kunst eine Bedingung des menschlichen Lebens und Glücks. Kunst ist die selektive Neuerschaffung der Realität gemäß der tiefsten, grundlegendsten Überzeugungen des Künstlers – wie seine Auffassungen über die Natur des Universums, die Natur des Menschen, was wir wissen können, was am wichtigsten ist und was möglich ist. Der Zweck der Kunst besteht darin, profunden Abstraktionen eine physische Form zu verleihen, sie konkret und anschaulich zu machen und die Menschen auf diese Weise mit einer wahrnehmbaren Darstellung einer bestimmten Idee oder eines bestimmten Weltbilds auszustatten. Dadurch erhalten Menschen die Möglichkeit, die Idee als physische Realität zu untersuchen und somit besser zu verstehen, was sie in der Praxis bedeutet. Auf diese Weise bietet die Kunst eine spirituelle Anleitung und Brennstoff für das Leben und das Erreichen der eigenen Ziele. Ob es die Skulptur einer Ballerina ist, die das Geschick und die Anmut darstellt, die dem Menschen möglich ist – oder ein Roman über große Unternehmer, der die produktive Errungenschaft zeigt, die dem Menschen möglich ist – oder ein Landschaftsporträt einer ländlichen Gegend, das die Welt als der Erkundung und dem Vergnügen zugänglichen Ort zeigt – oder ein Gemälde eines trostlosen, psychedelischen Billardsalons, das die Welt als instabil und für den Menschen unbewohnbar darstellt – die Kunst macht höchst abstrakte Überzeugungen wahrnehmbar.

Wie alles auf der Welt ist die Kunst etwas Bestimmtes; darum ist sie dem Wissen zugänglich und definierbar. Wie alles vom Menschen gemachte wird sie außerdem auf Grundlage des Maßstabs der Bedingungen des menschlichen Lebens auf Erden als gut oder schlecht beurteilt.

„Kunst bietet Brennstoff für das Leben und das Erreichen der eigenen Ziele“

Der Objektivismus lehnt daher die Auffassung ab, dass Kunst alles wäre, was ein selbsternannter oder angeblich „vollkommener“ Künstler zufällig zusammenwirft oder in einer Ausstellung unterbringt. Weder willkürlich auf eine Leinwand gespritzte Farbe, noch das Rad eines Fahrrads, das „intelligent“ auf einem Stuhl befestigt wurde, noch ein Wortsalat, der formschön auf einer Seite abgedruckt wurde, ist Kunst. Solche Dinge sind keine „schlechte“ Kunst, sie sind überhaupt keine Kunst. Kunst ist kein emotionaler Ausbruch irrationaler Anwandlungen, sondern die selektive Neuerschaffung der Realität. Der Mensch versteht die Realität durch die Vernunft. Aus diesem Grund erfordert die Erschaffung von Kunst den intensiven Gebrauch dieses Vermögens; sie erfordert Denken, Konzentration, geistige Verbindungen und die Umwandlung höchst abstrakter Konzepte und Werte in den Stoff der wahrnehmbaren Realität. Das ist nichts für Clowns; das ist eine Aufgabe für Genies – und sollte als solche anerkannt und beschützt werden.

Der Objektivismus lehnt ebenso die Auffassung ab, dass es innerhalb der Grenzen, was Kunst ist, keine objektiven Kriterien gäbe, um manche Werke als besser als andere zu beurteilen. Wie jeder legitime Wert ist ein Kunstwerk – ob ein Gemälde, eine Skulptur, ein Roman, ein Film oder eine Symphonie – genau dann ein Wert, soweit es irgendeiner Lebensbedingung eines rationalen Wesens dient. Obgleich es innerhalb der Grenzen wahrer Kunst viel Raum für verschiedene Geschmäcker gibt, so gibt es innerhalb dieser Grenzen auch objektiv bessere und schlechtere Kunstwerke – besser und schlechter laut den Maßstäben der Vernunft und den spirituellen Bedürfnissen des Menschen.

Da die Essenz der menschlichen Natur im freien Willen besteht, spiegelt die beste Kunst – romantische Kunst – diese Tatsache wider; sie stellt den Menschen als jemanden dar, der sein Leben beherrscht, als jemanden, der die Welt gemäß seiner Werte formen kann, als die selbstgeschaffene Seele, die er ist. Konzentrieren wir uns als Beispiel auf einen bestimmten Aspekt eines Kunstwerks: auf seinen Gegenstand. Unter sonst gleichen Umständen (Stil, Komposition, Technik, etc.) sagt ein Gemälde einer hässlichen Frau, die auf dem Deck eines sinkenden Schiffs angsterfüllt schreit, das eine und ein Gemälde einer schönen Frau, die an einem windigen Tag auf meisterliche Art ein Auslegerboot steuert, das andere. Objektiv betrachtet haben zwei solche Gemälde nicht den „gleichen“ Wert, sie dienen nicht „gleichermaßen“ dem Zweck der Kunst; und rationale Menschen genießen sie nicht „gleichermaßen“.

„Gute Kunst ist ein Produkt des menschlichen Denkens und der schöpferischen Anstrengung.“

Gute Kunst ist – wie alles, von dem das menschliche Leben und Glück abhängt – ein Produkt des menschlichen Denkens und der schöpferischen Anstrengung. Das ist ein weiterer Grund, den Kapitalismus anzunehmen und ihn zu fördern – und mit ihm die ganze Vernunftphilosophie, auf der er beruht. In einer rationalen, kapitalistischen Gesellschaft sind Künstler vollständig frei, zu denken und zu erschaffen, wie sie es für angemessen halten; nichts steht ihnen im Weg; das Recht der freien Meinungsäußerung wird als etwas Absolutes anerkannt. Das Leitprinzip einer solchen Gesellschaft ist das des Handels. Es gibt keine „öffentliche“ Kunstförderung. Aus diesem Grund haben tendenziell Künstler Erfolg, die Werke erschaffen, die rationale Menschen würdigen; diejenigen, die Werke produzieren, die rationale Menschen eher nicht schätzen, finden eher andere Berufe.

Zusammengefasst sind die Schlüsselprinzipien des Objektivismus: Die Realität ist etwas Absolutes, die Vernunft ist die einzige Erkenntnismethode des Menschen, der Mensch hat einen freien Willen (die Wahl zu denken oder nicht), das Eigeninteresse ist moralisch, die individuellen Rechte sind absolut, der Kapitalismus ist moralisch und gute Kunst ist entscheidend für ein gutes Leben.

Um die Ursprünge dieser Prinzipien in Rands belletristischen Werken nachzuvollziehen, lesen Sie The Fountainhead und Der Streik (Atlas Shrugged). Für eine Präsentation der objektivistischen Prinzipien in Form eines Sachbuchs, siehe Leonard Peikoffs Objectivism: The Philosophy of Ayn Rand. Für die Anwendung dieser Prinzipien auf kulturelle und politische Tagesthemen, abonnieren Sie den The Objective Standard (gibt’s auch im Kindle-Store), die führende Quelle für Kommentare aus objektivistischer Perspektive.

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Mit freundlicher Genehmigung von Craig Biddle und The Objective Standard. Dieser Essay wurde zuerst unter dem Titel „What is Objectivism?“ in The Objective Standard veröffentlicht.

Craig Biddle ist Chefredakteur des philosophischen Kulturmagazins The Objective Standard und Autor von Loving Life: The Morality of Self-Interest and the Facts that Support it. Das Buch ist eine höchst konkretisierte, systematische Einführung in Ayn Rands Ethik. Sein kommendes Buch Thinking in Principles: The Science of Selfishness, behandelt die Frage, wie man im Dienste seines Lebens, seiner Freiheit und seines Glücks möglichst effektiv seinen Verstand gebraucht. Biddle lehrt außerdem ethische und epistemologische Themen aus objektivistischer Perspektive in Seminaren. Seine Website: www.CraigBiddle.com.

Übersetzer: Andreas Müller für feuerbringer-magazin.de. Andreas Müller ist ebenfalls Buchautor und lehrt den Objektivismus in Seminaren.

[1] Gemeint ist hier nicht das politische System des Absolutismus, wie man es aus dem 18. Jahrhundert kennt. Biddle nutzt den Begriff „absolutistisch“ als Gegensatz zu „relativistisch“. Das bedeutet, der Objektivismus macht universell gültige Aussagen und steht damit im Gegensatz zu Willkür und Beliebigkeit.

[2] Biddle schreibt wörtlich, dass unser Denken mit der Welt „korrespondieren“ muss. Er bezieht sich auf die sogenannte „Korrespondenztheorie“ des Realismus, laut der Aussagen wahr sind, wenn sie mit der objektiven Realität übereinstimmen.

[3] Laut einer Umfrage von 2014 ist ein Viertel der US-Amerikaner der Meinung, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Der Glaube wird von manchen christlichen Fundamentalisten genährt, die jene Überzeugung mit dem biblischen Weltbild verteidigen. Siehe: Samantha Grossman: „1 in 4 Americans Apparently Unaware the Earth Orbits the Sun”, Time online, 16.02.2014. (http://time.com/7809/1-in-4-americans-thinks-sun-orbits-earth)