Steuern sind kein Diebstahl

Sind Steuern Diebstahl Teaser

Hier nun mein Beitrag über die Frage, ob Steuern Diebstahl sind? Wie der Titel dieses Essays nahelegt, bin ich der Meinung, dass dem nicht so ist. Einige Libertäre sind hingegen der Auffassung, dass Steuern mit Diebstahl, Erpressung oder Raub zu vergleichen wären. Wenn dir jemand ohne Zustimmung dein Eigentum wegnimmt, dann nennt man das „Diebstahl“. Warum sollte es anders sein, wenn ein Staat dir dein Geld wegnimmt? Der Staat ist schließlich nur eine Gruppe von Leuten, die von einer anderen Gruppe beauftragt wurde, dir dein Geld wegzunehmen. Einfach nur, weil die es gerne hätten. So die Logik von vielen Libertären, vor allem von den Anarchokapitalisten wie Murray Rothbard.

Ayn Rand war ebenso der Meinung, dass die Bürger ihre Regierung in einer völlig freien Gesellschaft freiwillig finanzieren müssten. Das ist die bislang einzige Position von Rand, bei der ich nun zur Schlussfolgerung gelangt bin, dass sie falsch ist. Es gibt an dieser Stelle einen Widerspruch in ihrem Denken. Sie hat mit einem wichtigeren Prinzip Recht und mit der freiwilligen Regierungsfinanzierung Unrecht. Man kann eine Regierung grundsätzlich nicht auf freiwilliger Basis finanzieren. Steuern sind also kein Diebstahl.

Regierung finanzieren durch Spenden?

Haste mal nen Euro für die Regierung? Ich habe in meiner Besprechung des Debattenbuchs „Libertarianism: For and Against“ bereits einige Argumente angeführt, warum die freiwillige Regierungsfinanzierung nicht funktionieren dürfte:

„Das gilt auch für [die Zweifel des Philosophen Craig] Duncan an der freiwilligen Finanzierung der Regierung. Er glaubt nicht, dass Unternehmen, die heute jedes legale Schlupfloch nutzen, um weniger Steuern zu zahlen, in einem libertären Staat auf einmal bereit wären, einen Minimalstaat zu finanzieren. Machan nennt als denkbaren Ansatz die Vorschläge von Ayn Rand, etwa bei Verträgen optional einen Rechtsschutz anzubieten, mit dem der Minimalstaat finanziert wird, oder eine Lotterie zur Finanzierung des Staates. Das Problem mit dem optionalen Rechtsschutz ist die Frage, ob man denn wirklich jemanden ganz ohne Rechtsschutz dastehen lassen kann, der ein Produkt kauft, und was das eigentlich bedeutet (was, wenn das Produkt giftig ist?). Das Problem mit der Lotterie besteht darin, dass eine Staatslotterie ein Monopol ist oder zumindest etwas, das außerhalb des Marktes steht, und somit in die Rechte anderer Lottoanbieter eingreift.“

Lässt man die Regierung also in dem direkten Sinne freiwillig finanzieren, dass man die Bürger einfach wählen lässt, ob sie Steuern zahlen möchten oder nicht, dann hätten wir es mit dem klassischen Freerider-Problem zu tun. Manche Bürger würden Steuern zahlen und sich durch jene ausgenutzt fühlen, die keine Steuern zahlen, bis so gut wie niemand mehr Steuern zahlt. Viele Objektivisten meinen, dass sie mit Freuden bereit wären, diese geringen Steuern für einen Minimalstaat zu bezahlen und es mache doch nichts aus, wenn einige es nicht tun.

Sicher sind manche Menschen bereit, freiwillig der Regierung etwas zu spenden, wie sie heute bereit sind, freiwillig Geld für Online-Journalismus zu spenden. Kurz gesagt werfen diese Spendenaufrufe aber viel zu wenig Geld ab, wie verschiedene Medien gerade feststellen. Die Leute müssen der Meinung sein, dass Journalismus (oder die Regierung) wirklich etwas wert ist, und wenn sie nur noch glauben, dass irgendwelche reichen Adeligen in ihrer Freizeit Artikel schreiben (oder Richter, Anwälte oder Polizisten spielen), dann führt das zu einer parasitären, ausbeuterischen Grundhaltung gegenüber Journalisten (oder Regierungsinstitutionen). Andere Bürger werden schon für Polizei und Militär und Gerichtswesen und das Parlament bezahlen. Warum sollte ich das tun, wenn ich nicht muss? Trotzdem habe ich Anspruch auf alle Leistungen der Regierung, wie ich heute einen Anspruch habe, jeden Morgen die Nachrichten auf dem Handy zu lesen.

Ferner erfordern die Berufe des Richters, des Anwalts und eines höherrangigen Polizeibeamten eine jahrelange, teils jahrzehntelange und sehr anspruchsvolle Ausbildung. Glauben Sie, ein Richter des Verfassungsgerichtshofs würde sich bereitwillig nur von Spenden finanzieren lassen? Niemand würde sich freiwillig von so einer Art von Richter verurteilen lassen. Die Korruptionsbereitschaft wäre bei einem so prekären Berufsverhältnis viel größer als heute.

Kein Wunder – denn wer nach den vielen Jahren harter Arbeit, die nötig sind, um Richter zu werden, von freiwilligen Spenden freundlicher Nachbarn abhängt, der würde sich zurecht veralbert vorkommen. Und privatisieren kann man das Gerichtswesen nicht, sofern man keine konkurrierenden Gerichte, etwa Schariagerichte, Mafiagerichte und herkömmliche Gerichte, haben möchte. Zugegeben scheint sich Deutschland gerade unsicher zu sein, ob es so etwas haben möchte. Wie dem auch sei: Der Staat muss seine Beamten anständig finanzieren, wenn es erforderlich ist, dass sie staatstreu sind und nicht etwa im Sinne der Scharia oder der Mafia entscheiden. Beamte müssen staatstreu sein. Das liegt in der Natur der Sache. Sind sie nicht staatstreu, dann sind sie für einen anderen Zweck als für jenen des Staates tätig: Für einen anderen Zweck als den Erhalt von Recht und Ordnung.

Regierung finanzieren durch Glücksspielmonopol?

Bei Novo gibt es eine Reihe von Artikeln gegen das staatliche Glücksspielmonopol, das den Markt verzerrt und paternalistisch wirkt. Siehe etwa diesen Artikel von Johannes Richardt zum Thema. Politiker halten aktuell in Deutschland am Glücksspielmonopol fest, um das eingenommene Geld an ihre Genossen zu verteilen. Da ist es schon bemerkenswert, dass Ayn Rand vorgeschlagen hat, die ganze Regierung durch eine staatliche Lotterie zu finanzieren. An ein Monopol hat sie vielleicht nicht gedacht, da sie schließlich gegen staatliche Monopole war. Wäre die staatliche Lotterie kein Monopol, dann wäre sie jedoch nur einer von vielen Lotto-Anbietern.

Allerdings würde das Lotto-Unternehmen der Regierung von Beamten geführt, die nicht in den Regeln des Marktes geübt sind. Wenn die Lotterie nur so viel einnimmt wie ein Eis-Stand, dann lässt sich damit kein noch so kleiner Staat finanzieren. Zudem gibt es keinen Grund, warum der Staat dann nicht jede beliebige andere Art von Unternehmen gründen sollte. William Thomas, der Programmdirektor der Atlas Society, gelangt im Essay „Objectivism against Anarchy“ zum selben Ergebnis.

Regierung finanzieren durch freiwilligen Rechtsschutzbeitrag?

William Thomas kritisiert ebenso Rands zweiten Vorschlag, die Regierung durch Rechtsschutzbeiträge zu finanzieren. Diese können optional beim Abschluss von Verträgen gewählt werden. Rand schreibt in „Government Financing in a Free Society„: „Nehmen wir an, dass die Regierung nur solche Verträge schützen würde – d.h. als rechtlich gültig und einklagbar –, die durch die Zahlung eines Aufschlags in der Höhe eines rechtlich festgesetzten Prozentsatzes der im jeweiligen Vertrag involvierten Summen an die Regierung versichert wären.“

Das Problem ist, dass Verträge ohne Rechtsschutzbeitrag nichtig wären. Nehmen wir an, jemand verkauft seinem Freund einen Computer für 500 Euro. Die Freunde zerstreiten sich und verklagen den jeweils anderen. Der Verkäufer behauptet, sein Freund habe ihm den Computer gestohlen. Der Käufer behauptet, sein Freund habe ihm 500 Euro gestohlen. Da der Vertrag nie offiziell zustande gekommen ist, müsste der Staat im Grunde beide ehemalige Freunde verurteilen.

Ohne den Rechtsschutzbeitrag wäre kein Privateigentum länger sicher. Und das gilt nicht nur für das Eigentum der am Vertrag beteiligten Parteien. Nehmen wir an, jemand kauft einen handgearbeiteten Stuhl, ohne den Rechtsschutzbeitrag zu bezahlen. Ein Dieb stiehlt den Stuhl. Die Polizei fasst den Dieb. Aber wem gehört der Stuhl nun eigentlich, wo doch der Kaufvertrag rechtlich nichtig ist? Der Dieb könnte auch behaupten, den Stuhl selbst hergestellt zu haben. Der Diebstahl hat schließlich nie wirklich stattgefunden, da man nur Eigentum stehlen kann. Wer den Rechtschutzbeitrag also nicht bezahlt, erhält keinen Rechtschutz – und ebenso nicht, wer den Rechtschutzbeitrag zahlt, wenn er Eigentum kauft, das dem „Eigentümer“ gar nicht gehörte, da er selbst es mit einem Vertrag ohne Rechtschutz gekauft hatte.

Niemand wüsste am Ende mehr, was eigentlich wem gehört. Das kann nicht im Interesse einer Philosophie sein, die das Eigentumsrecht hoch gewichtet.

Rand vergleicht freiwillige Steuern mit freiwilligen Versicherungen. Allerdings profitiert man individuell und auf unmittelbarere Weise von Versicherungen – jedenfalls von den wenigen, die Sinn ergeben. Derweil muss jeder die Regierungsleistungen in Anspruch nehmen können, da sonst das geschieht, was oben beschrieben ist. Versicherungen kann man sich individuell aussuchen und zusammenstellen, die Regierungsleistungen nicht. Man kann also Steuern nicht mit Versicherungen vergleichen.

Ethische Grundlage der Zwangsfinanzierung

Bislang wurden hier vornehmlich praktische Argumente angeführt. Man mag einwenden, dass vielleicht etwas an ihnen dran ist (oder nicht), aber dass man dann eben eine andere Möglichkeit finden kann, wie man die Regierung doch auf eine freiwillige Art finanzieren könnte. Ich denke, dass dies grundsätzlich unmöglich ist. Der Grund ist die fundamentale Unterscheidung zwischen Gewalt und Freiwilligkeit, die Ayn Rand in der politischen Philosophie identifiziert hat.

Die Bürger einer Nation sind in ihren Handlungen frei, sofern sie die Rechte ihrer Mitbürger achten. Es ist die Aufgabe der Regierung, Gewalt aus den menschlichen Beziehungen auszuschließen. Um ein Staatswesen überhaupt auf diese Art einrichten zu können, müssen die Bürger einer Nation dieses auch ermöglichen und es instanthalten. Aufgrund des fundamentalen Unterschied zwischen Staat und Markt, zwischen Gewalt und Freiwilligkeit, kann sich die Institution mit dem Gewaltmonopol selbst nur durch Gewalt finanzieren. Die Sphäre der Freiwilligkeit – alles, was nicht zur Regierung gehört – kann sich nur durch freiwillige Übereinkunft finanzieren. Versucht man etwas anderes, geht der Versuch nach hinten los. Der Objektivismus sieht eine Trennung zwischen Staat und Wirtschaft vor – und das ist der Grund dafür. Staat ist Gewaltherrschaft, Wirtschaft ist freiwilliges Tauschgeschäft.

Der Staat ist also von Natur aus eine Gewaltherrschaft. Er muss eine sein. Wie Aristoteles bemerkte, muss es Herrscher geben. Eine Gesellschaft von Menschen, die zur selben Zeit gleich viel Macht haben, funktioniert nicht (Aristoteles schlug vor, dass jeder Bürger gelegentlich einmal ein Amt übernimmt, dann würde er die Sphäre wechseln). Um Recht und Ordnung ermöglichen zu können, muss es ein Machtgefälle geben zwischen der Institution, die Recht und Ordnung durchsetzt und denjenigen, die Recht und Ordnung gefährden. Die Polizei kann nicht genauso viel Macht haben wie die Mafia. Die Mafia ist eine Gruppe von Bürgern, die ihre Freiheit, Gewalt auszuüben, nicht auf den Staat übertragen möchte. Stattdessen finanzieren die Mafia-Mitglieder lieber eine kriminelle Bande, die sie „beschützt“. Die freiwillige Regierungsfinanzierung ist also eine anarchistische oder anarcho-kapitalistische Idee, die mit dem Objektivismus sowie dem Minarchismus inkompatibel ist.

Dieser grundsätzliche Unterschied zwischen Staat und Markt lässt sich nicht wegphilosophieren. Das Problem ist vielmehr die mangelhafte Definition und somit Begrenzung der Staatsaufgaben in den westlichen Nationen (und noch viel mehr in den anderen Nationen). Ein Minimalstaat ist gut. Kein Staat ist schlecht – denn er führt zu gewalttätigem Chaos. Ein freiwillig finanzierter Minimalstaat ist ein Widerspruch. Er bedeutet einen Übergriff der Sphäre der Freiwilligkeit in die Sphäre der Gewaltherrschaft. Der Staat ist nicht freiwillig. Er ist Gewaltherrschaft. Man wird nicht freiwillig verhaftet. Man steht nicht freiwillig vor Gericht. Man muss nicht freiwillig Verträge einhalten. Der Staat ist die Institution, welche die Macht benötigt, mit Gewalt Recht und Ordnung sichern zu können. Man kann nicht die Gewalt nicht freiwillig finanzieren. Der Markt ist freiwillig. Der Staat ist Zwang. Ein freiwillig finanzierter Staat ist ein Widerspruch.

Zwangs-finanzierte Regierung oder Anarchie

Letztlich lautet die Alternative, ob man eine Regierung mit Gewaltmonopol, die entsprechend auch zwangsfinanziert ist, haben möchte oder Anarchie. Ist die Regierung nämlich nicht durch Zwang finanziert, bedeutet das, dass sie einige Bürger, die es eigentlich könnten, nicht finanzieren müssten. Damit die Finanzierung der Regierung irgendeinen Vorteil für die Steuerzahler hat, müssten Nicht-Bezahler, die die Mittel dazu eigentlich hätten (es kann immer sein, dass manchen Bürgern einfach die Mittel fehlen) von Regierungsleistungen auszuschließen sein. Daraus entstehen unzählige Probleme, die Rand in ihren Artikeln gegen den Anarchismus angedeutet hat.

Die objektivistische Position zum Anarcho-Kapitalismus lautet nach William R. Thomas:

  1. Ein Wettbewerb um die Bereitstellung von Gewalt wäre Krieg und sollte nicht mit den freiwilligen Interaktionen im Markt gleichgesetzt werden. Der Markt wird gerade erst durch eine Institution ermöglicht, welche das Gewaltmonopol durchsetzen kann.
  2. Die Tatsache, dass Menschen häufig irrational sind, impliziert, dass unkontrollierte Armeen und Polizeikräfte gefährlich wären.
  3. Selbst vernünftige, freiheitlich gesinnte Menschen haben zahllose Meinungsverschiedenheiten, die nach objektivem Recht geregelt werden müssen und anderweitig bei unkontrollierten Armeen und Polizeikräften zur Gewalt führen können.

Letztlich bin ich also zum Schluss gelangt, dass Rands Position zur freiwilligen Regierungsfinanzierung nicht mit ihren grundlegenderen Ausführungen über die Rechtfertigung einer Regierung vereinbar sind. Man erkennt an ihren recht schwachen Vorschlägen wie einem Glücksspielmonopol, wie eine solche Regierung zu finanzieren sei, dass sie diese Idee einer freiwillig finanzierten Regierung selbst nicht konkretisieren konnte. De facto würde ein solches Konzept zur gewalttätigen Anarchie, zum Chaos führen.

Das bedeutet, dass ich die grundlegende, zentrale Unterscheidung von Staat und Markt, die Ayn Rand getroffen hat, akzeptiere und dafür ihre Idee einer freiwilligen Regierungsfinanzierung verwerfe. Man sollte dabei bedenken, dass die Legitimität von Steuern an sich nicht bedeutet, dass alle Steuern, die es heute gibt, legitim sind. Sie sind legal, aus Gründen der Friedenserhaltung in unserer Gesellschaft auch zu tolerieren, aber häufig nicht zu akzeptieren. Das bedeutet, dass man friedlich, mit Hilfe vernünftiger Argumente für die Bindung von Steuern an legitime Staatsaufgaben eintreten sollte und somit für eine erhebliche Steuerreduktion auf lange Sicht. Freiwillig können Steuern aufgrund ihrer Natur jedoch niemals sein.