Ist Philosophie nur zum Philosophieren da?

So, genug mit der Selbstkritik. Jetzt kritisiere ich mal wieder jemand anderes: den Philosophen Daniel-Pascal Zorn.

Es geht darum, wozu Philosophie da ist. Und was sie leisten kann.

Ich finde es zunächst einmal schön, dass ein Denker, der jedem meiner Worte inhaltlich widerspricht, trotzdem gerne mit mir diskutiert. Es liegt vielleicht auch daran, dass ich seine in erfrischendem Maße mit Fachbegriffen verzierten Aussagen alle verstehe, was wohl nicht so häufig vorkommt. Ich finde zudem seinen meinungsstarken Stil recht amüsant. Seinerseits findet er praktisch alles schlecht, was ich sage, aber es muss wohl unterhaltsam genug sein.

Philosophie als Selbstzweck

In seinem Beitrag „Es gibt keinen Weg in die Philosophie“ schreibt Zorn: „Philosophie ist der Weg zu sich als Werk. Die Antwort auf die Frage nach ihr.“ In einem Tweet in einer unserer Diskussionen schreibt Zorn als Antwort auf meine Frage, wie man Philosophie von Nicht-Philosophie unterscheiden könne: „Radikale Infragestellung von Voraussetzungen, konsequente operationale Aufmerksamkeit, Ausrichtung an reflexiver Konsistenz als Geltungskriterium.“

Ich habe Zorn ein bisschen geärgert damit, dass ich Ayn Rand mit den inhaltlich identischen Aussagen zitierte: „“Check your premises“, „consistency is a requirement of reason“, „thinking requires a state of full, focused awareness“. Zorn hält Ayn Rand „nicht einmal“ für eine Ideologin, sie habe nur „weltanschauliche Sätze“ veröffentlicht. Wenn er dasselbe sagt wie sie, ist es natürlich trotzdem besser, weil Rand nicht verstanden habe, was sie sagte, und es nicht in die Praxis umgesetzt habe. Na ja.

Ich stimme Zorn (und Rand) hier zunächst einmal zu. Philosophie ist auch die „radikale Infragestellung von Voraussetzungen“, eine „konsequente operationale Aufmerksamkeit“ und eine „Ausrichtung an reflexiver Konsistenz als Geltungskriterium“. Philosophie ist allerdings kein bloßer Selbstzweck für das philosophierende Individuum. Warum sollte der Staat irgendwen dafür bezahlen, den „Weg zu sich als Werk“ zu beschreiten? Auf die Gefahr hin, dass die Frage zu libertär klingen mag.

Philosophie kann wichtige Fragen beantworten

Philosophie hat auch einen praktischen Nutzen. Insbesondere versucht sie, grundlegende metaphysische, epistemologische, ethische, politische und ästhetische Fragen zu beantworten. Und tut sie das nicht, dann bleiben nur diese Alternativen übrig: Dogmatismus, Relativismus, Nihilismus und Fatalismus. Alles Dinge, die Zorn vermutlich auch vermeiden möchte. Es gibt kein anderes Fachgebiet, das solche Fragen rational beantwortet. Es gibt sonst nur dogmatische Religionen und Ideologien sowie die Beliebigkeit, die Kapitulation und die Ablehnung aller Werte.

Woher sollen wir wissen, was das gute Leben ist, wie wir handeln sollen? Die Wissenschaften werden es uns nicht verraten, denn aus dem Sein (Beobachtungen über die Welt) lässt sich kein Sollen (was wir tun sollen) ableiten. Normative Richtlinien kann nur die Philosophie mit guten Begründungen aufstellen.

Mein aktueller Versuch, dies zu tun, ist bekanntlich der „revisionistische Intuitionismus“ in der Ethik. In der Metaphysik lässt sich meiner Ansicht nach der „widerlegende Beweis“ (Aristoteles) nutzen, um grundlegende Axiome zu beweisen: „Es gibt etwas, das mir bewusst ist.“ Damit wären Existenz, Identität und Bewusstsein bewiesen. Diesen Aspekt der objektivistischen Philosophie finde ich weiterhin überzeugend. Auch wenn das nur wenig aussagt. Immerhin sagt es mehr aus, als Descartes postulierte: „Ich denke, also bin ich.“ Der Unterschied besteht darin, dass Descartes nur die Existenz und Identität seines Bewusstseins für erwiesen erachtete, Ayn Rand hielt auch die Existenz der externen Realität für axiomatisch beweisbar. Will heißen: Jeder Versuch, die metaphysischen Axiome zu widerlegen, setzt sie voraus.

Ob nun Descartes oder Ayn Rand Recht hat: Ich denke, dass Philosophie hier wirklich etwas Wahres über die Realität aussagen kann. Sie bezieht sich nicht nur auf sich selbst oder nur auf Sprache.

Vielleicht denkt Zorn das ebenfalls. Nur, dass er in seinem Essay nicht näher definiert, was er für beweisbar oder „sicher“ erachtet. Möglicherweise nur Regeln der Logik.

Ein Philosoph endet nicht im Skeptizismus. Er setzt nicht überall Fragezeichen, sondern er setzt sie dort, wo eine Voraussetzung nicht geklärt ist. Das heißt, dass man in der Philosophie durchaus ein paar Sicherheiten gewinnen kann. Da diese Sicherheiten aber sehr prinzipiell sind, sind sie, wenngleich vielfältig in der äußeren Form, spärlich gesät – und bei weitem nicht das Interessanteste an der Philosophie.

Daniel-Pascal Zorn: Es gibt keinen Weg in die Philosophie

In der Ethik vertrete ich, wie gesagt, dieser Tage den „ethischen Intiutionismus“. Dieser beruht auf Selbstevidenz. Uns „erscheint“ etwas ethisch richtig oder falsch, was sich nicht weiter analysieren lässt. Darauf können wir aufbauen, aber wir können Intuitionen nicht weiter zerlegen oder reduzieren. Zorn lehnt sowohl den Nachweis metaphysischer Axiome durch den „widerlegenden Beweis“ ab als auch den ethischen Intuitionismus. Überhaupt hält er nicht viel von Metaethik. Nur: Was ist dann eigentlich seine Ethik? Oder glaubt er, wir bräuchten keine?

Die „Verbalwissenschaften“ sind zurück

Die Geisteswissenschaften wie Philosophie bezeichnet Zorn in seinem programmatischen Essay als, „im Wesentlichen, Textwissenschaften“. Das erinnert mich an die Bezeichnung der Geisteswissenschaften als „Verbalwissenschaften“ durch den Biologen Ulrich Kutschera. Sie sind quasi nur verbal Wissenschaften. Warum setzt ein Philosoph sein eigenes Fachgebiet herab? Die Humanwissenschaften wie Soziologie und Geschichte könnten laut Zorn „durch Theorien mittlerer Reichweite Explikationen auch ohne Letztbegründungsanspruch“ vorbringen. Oder anders gesagt: Sie können abgegrenzte Aspekte der sozialen Realität erklären. Wie die Tischsitten der französischen höfischen Oberschicht im 14. Jahrhundert, vermutlich.

Aber mehr nicht. Man befasst sich also in der Philosophie mit Sprache, mit Konzepten, Texten. Und das war es. Sollte das stimmen, hätten wir keine Möglichkeit, irgendwas über Metaphysik, Epistemologie, Ethik, Politik (normative politische Philosophie) und Ästhetik herauszufinden. Wir könnten absolut nichts darüber wissen. Und doch wachen wir jeden Tag auf. Und fragen uns, wozu das nun, was soll ich jetzt machen? Soll es wirklich keine Antworten darauf geben? Wie Angela Merkel sagen würde, ist das „nicht hilfreich“. Klar, es könnte stimmen. Ich denke, dass es nicht stimmt.

Wir sind uns immerhin in der Ablehnung von Dogmatismus und Skeptizismus einig.

Ohne Anleitung durch einen Lehrer, der einen sicher durch die Untiefen von Dogmatismus und Skeptizismus führt, können aus problemgeplagten Mitmenschen ganz schnell ziemlich unangenehme Zeitgenossen werden.

Daniel-Pascal Zorn: : Es gibt keinen Weg in die Philosophie

Dogmatismus und radikalen Skeptizismus müsste Herr Zorn vielleicht nicht so freigebig über seine Gesprächspartner wie mich vermuten, aber ja, wir sollten Dogmatismus und Skeptizismus vermeiden. Nur sollten wir dann auch etwas Positives zu sagen haben. Und nicht nur, dass alles falsch ist, was Feuerbringer sagt.