Die Ethik der Notfälle

Alfred Hitchcocks "Lifeboat" (20th Century Fox)
In der Dichtung sind Notfälle ein beliebtes Thema: Alfred Hitchcocks „Lifeboat“ (20th Century Fox)

Der Objektivismus hält nicht viel von der Besessenheit der modernen Ethik mit absurden Dilemmata und Notfallsituationen, die von manchen Denkern als Anlass genommen werden, die Harmonie der Interessen (zwischen Menschen, die im aufgeklärten Eigentinteresse handeln) in Zweifel zu ziehen oder die sogar als metaphysische Grundlage von Ethiken genommen werden (wie Peter Singers Präferenzutilitarismus). „Der Mensch lebt nicht in einem Rettungsboot“, ist Ayn Rand bekannteste Aussage zu diesem Thema.

Ethik beruht auf einem bestimmten Kontext, auf bestimmten metaphysischen Gegebenheiten. Die objektivistische Ethik beruht auf dem Leben in einer modernen Zivilisation. Würden wir in der Wildnis leben, wäre nicht jedes Element der Ethik weiterhin gültig, nur die grundlegenden Prinzipien, in besonders schlimmen Situationen vielleicht nur noch eines: Tue alles, um zu überleben.

Hin und wieder gibt es aber auch in der Realität Notfälle – und der Objektivismus bietet auch hierfür eine Richtlinie. Ayn Rand über die objektivistische Notfallethik:

„Notfälle“ (aus: The Ethics of Emergencies, The Virtue of Selfishness)

Es ist wichtig, zwischen den Verhaltensregeln in Notfallsituationen und den Verhaltensregeln unter den normalen Bedingungen der menschlichen Existenz zu unterscheiden. Dies bedeutet keineswegs eine Doppelmoral: Der Maßstab und die grundlegenden Prinzipien bleiben diesselben, aber ihre Anwendung auf jeden der beiden Fälle erfordert präzise Definitionen.

Ein Notfall ist ein nicht gewähltes, unerwartetes Ereignis, zeitlich begrenzt, das Bedingungen erzeugt, unter denen menschliches Überleben unmöglich ist – wie eine Flut, ein Erdbeben, ein Brand, ein Schiffsuntergang. In einer Nofallsituation ist es das vornehmliche Ziel des Menschen, die Katastrophe zu bekämpfen, der Gefahr zu entkommen und normale Bedingungen wieder herzustellen (wie trockenes Land zu erreichen, das Feuer zu löschen, etc.)

Mit „normalen“ Bedingungen meine ich metaphysisch normale Bedingungen – normal in der Natur der Dinge und der menschlichen Existenz angemessen. Menschen können auf dem Land leben, aber nicht in Wasser oder in einem wütenden Feuer. Da Menschen nicht allmächtig sind, ist es metaphysisch möglich, dass sie von unvorhersehbaren Katastrophen getroffen werden und in diesem Fall besteht ihre Aufgabe lediglich darin, wieder zu den Bedingungen zurückzukehren, unter denen ihr Leben weitergehen kann. Aufgrund ihrer Natur ist eine Notfallsituation vorrübergehend; würde sie andauern, müsste der Mensch untergehen.

Ausschließlich in Notfallsituationen sollte man sich bereit erklären, Fremden zu helfen, wenn es in der eigenen Macht steht. Beispielsweise sollte ein Mann, der das menschliche Leben schätzt und sich in einem untergehenden Schiff befindet, dabei helfen, seine Mitpassagiere zu retten (aber nicht auf Kosten seines eigenen Lebens). Aber das bedeutet nicht, dass er, nachdem sie wieder an Land sind, seine Mitpassagiere mit allen seinen Kräften von Armut, Ignoranz, Neurosen oder was auch immer ihre Probleme sein mögen befreien müsste. Und es bedeutet auch nicht, dass er sein Leben damit verbringen sollte, auf den sieben Weltmeeren nach Opfern eines Schiffsunglücks zu suchen.

[….]

Das Prinzip, dass man Menschen in einem Notfall helfen sollte, kann nicht dazu erweitert werden, jegliches menschliche Leid als Notfall zu betrachten und das Unglück mancher in eine erste Hypothek auf das Leben anderer zu verwandeln.

Quelle: Ayn Rand Lexicon: EmergenciesThe Virtue of Selfishness (ich sehe gerade, dass das Buch günstiger geworden ist im Kindle-Shop – 4,38 Euro)

Ich bleibe zudem bei meinen eigenen Ausführungen zum Thema: Selbst in einem untergehenden Schiff sollte man der eigenen Wertehierarchie gemäß handeln. Das heißt, man rettet vornehmlich das, was einem am wichtigsten ist. Sein eigenes Leben, das Leben seines Partners, Familie, Freunde. Wenn es ohne die Gefährdung höherer Werte möglich ist, sollte man dann in der Tat auch anderen Menschen helfen, alleine, weil man menschliches Leben schätzt und der Mensch unter solchen Bedingungen nicht existieren kann.

2 Kommentare zu „Die Ethik der Notfälle

  1. Das Helfen in Notfallsituationen weicht nicht grundsätzlich vom Kooperationsverhalten allgemein ab, es soll geholfen werden, wenn grundsätzlich eine Kompensation zu erwarten ist, im Sinne des Mehrwerts oder im Sinne des Minimieren des gemeinsamen Verlustes.

    Sagt der Konstruktivist, der den bewussten Glaubensentscheid für bestimmtes Kooperationsverhalten oder eine bestimmte Ethik fordert, kA, was der „Objektivist“ hier genau meint.

    MFG
    Dr. W

    1. In Notfallsituationen sollte m.E. auch gehofen werden ohne konkrete zu erwartende Kompensation (obgleich sich daraus ergibt, dass man entsprechende Hilfe von anderen erwarten kann).

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